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Binde Deinen Karren an Einen Stern

Binde Deinen Karren an Einen Stern

Titel: Binde Deinen Karren an Einen Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Lukas
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allein auf der Welt, sondern Ihr Dasein ist eng verflochten mit anderen Personen rings um Sie herum. Deswegen verschwinden Sie nicht einfach nach Hamburg, und deswegen dürfen Sie auch Ihr Leben nicht bedenkenlos wegwerfen, selbst dann nicht, wenn es Ihnen vorübergehend sinnlos erscheint, denn zumindest hat es einen wesentlichen Sinn für Ihre Angehörigen. Sie sind nicht allein auf der Welt – wollen Sie diesen Satz beherzigen?“
    Frau X: „Ehrlich gestanden denke ich gar nicht an meine Familie, wenn ich so ein Tief habe …“
    Ich: „Ich weiß. In der Depression stehen Ihre eigenen Probleme im Mittelpunkt ihres Fühlens und Denkens. Sie wollen sie bloß loswerden und vergessen dabei, dass diese ‚Lösung‘ schreckliche Probleme für andere schafft, insbesondere für die Ihnen nahestehenden Menschen. Das ist normal. Aber vielleicht könnten Sie trotzdem ab jetzt versuchen, umgekehrt zu denken, nämlich Leid und Schmerz freiwillig auf sich zu nehmen, um anderen Menschen Probleme zu ersparen?“
    Frau X: „Ich soll freiwillig …?“
    Ich: „Frau X, wenn Ihnen Ihr Leben aus der Verblendung durch Ihre Krankheit heraus unerträglich erscheint, Sie aber dennoch beschließen, es in Geduld zu ertragen, wie es gerade kommt, es zu ertragen aus Liebe zu Ihrem Sohn, der die Mutter braucht, und aus Liebe zu Ihrem Mann, der den Verlust seiner Frau nicht verwinden könnte, dann ist doch Ihr Leben in diesem Moment gar nicht sinnlos, denn Sie wissen ja genau,
wofür
und
für wen
Sie leben. Verstehen Sie mich?“
    Frau X (nachdenklich): „Ich glaube schon. Sie sprechen von meiner Verantwortung gegenüber meiner Familie.“
    Ich: „Ihre Familie leidet auch, leidet mit Ihnen. Mann und Sohn können Ihr Leid nicht verringern, aber
Sie
könnten
deren
Leid verringern!“
    Frau X: „Das ist wahr! Seltsam, in der Klinik habe ich immer gedacht, wie bemitleidenswert ich doch sei, nicht einmal sterben hat man mich lassen, aber ich erkenne allmählich, dass andere, Unschuldige durch mich gelitten haben. Mein Mann war ganz verzweifelt … Ich darf es nicht mehr tun … Ja, in meinem Leben will ich wenigstens
dies
noch versuchen: meiner Familie Leid zu ersparen …“
    Nicht jede psychische Verstimmung
    und nicht jede Tragödie kann korrigiert werden
,
    manches muss einfach ausgehalten werden
,
    und je eher jemand weiß
,
    wofür und wozu
,
    umso besser hält er es aus.
    Dazu aber ist notwendig, dass es jemanden oder etwas gibt, eine geliebte Person oder eine zu erfüllende Verpflichtung, die meiner bedarf und
um derentwillen
selbst ein schweres Leid noch angenommen werden kann. Hier trifft die Psychotherapie auf ein uraltes ethisches Prinzip, denn, wie meine Patientin ganz richtig gesagt hat, der Mensch ist nicht allein auf der Welt, und sein eigenes Wohlergehen kann nicht sein einziger Lebenszweck sein. Im Gegenteil: Wohlergehen allein, losgelöst aus dem zwischenmenschlichen Zusammenhang, ist nichts.



Das Wissen um ein Wofür und Wozu, die Intentionen „Für etwas oder für jemanden …“ sind außerordentlich hilfreich, ja wesentlich für unser Leben. Auch und gerade dann, wenn man ein „Ja, aber …“ einwenden möchte: „Aber wenn meine Kräfte nachlassen …“; „Aber wenn das, wofür ich gelebt habe, nicht mehr existiert, wenn meine Pläne zerbrochen sind …“; „Aber wenn eine schwere Schuld mich belastet …“; „Aber wenn ich schlimmste Dinge erlebt habe …“
    Einige solcher Situationen seien im Folgenden herausgegriffen. Denn wenn wir vor derartigen Schwierigkeiten und Herausforderungen stehen, kommt es umso mehr darauf an, den eigenen Lebenskarren „an einen Stern zu binden“. Dazu gibt es eine Reihe von Hilfestellungen und bewährten Empfehlungen. Doch es zeigt sich zugleich, dass jeder Mensch immer ganz persönlich gefordert ist: Niemand kann ihm seine jeweilige Aufgabe abnehmen, auch nicht ein Psychotherapeut …

Expansion im Alter
    Verglichen mit einer chronischen Krankheit ist das Alter kein Leid im eigentlichen Sinne, sondern ein natürlicher Vorgang. Allerdings gilt das Alter in unserer Gesellschaft nicht unbedingt als attraktiv. Wenn in manchen Fernsehfilmen die Gestalt der Frau über 60 als gelangweilt und unbefriedigt aufscheint, weil sie für das Liebesleben nicht mehr frisch genug ist, ist dies eine bedenkliche Simplifizierung. Und auch die Figur des komischen Opas, der brummelig umherschleicht und den Kopf über die losen Sitten seiner Enkelkinder schüttelt, ist nicht gerade erbaulich.

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