Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
1. Kapitel
nickname:
fairy33a
Alter:
26
Sternzeichen:
Waage
Beruf:
Journalistin
Familienstand:
ledig
Haarfarbe:
rot
Augenfarbe:
braun-grün
Größe:
1,66 m
Gewicht:
Moment mal!
Bis hierhin hatte ich gewissenhaft die Wahrheit eingetippt, sogar mit einem gewissen naiven Stolz, aber nun kam ich zur Besinnung. Abgesehen davon, dass ich mein Gewicht in Ermangelung einer Waage selber nur schätzen konnte, ging es ja wohl niemanden etwas an!
Außerdem handelte es sich hier um eine rein berufliche Recherche, nicht um eine Beichte.
»Liebe auf den ersten Klick.« So oder so ähnlich würde das Special heißen, das in der über-übernächsten Ausgabe von Annika , der Zeitschrift, für die ich arbeitete, erscheinen sollte.
»Finden Sie mir diese Spinner«, hatte unser neuer Chefredakteur, Adam Birnbaum, gesagt. »Bringen Sie mir glückliche Paare, die sich beim Chat kennen gelernt haben, erzählen Sie mir herzergreifende Geschichten über den Kick beim Klick. Und vergessen Sie nicht: Sie können nicht über etwas schreiben, was Sie nicht kennen. Also recherchieren Sie mit Fantasie, stürzen Sie sich in die Cyberwelt! Reißen Sie, wenn nötig, selber einen Mann auf!«
Meine Kollegin und Ressortchefin Marianne hatte erfreut gegrinst. »Na ja, es gibt unangenehmere Recherchen«, flüsterte sie mir zu, gerade als Birnbaum mit eisiger Stimme hinzusetzte: »Bis morgen Früh.«
Ein paar von uns hatten murrend Einwände erhoben, und Marianne hatte gewispert: »Der sollte sich lieber nicht gleich an seinem ersten Tag unbeliebt machen.«
Aber Birnbaum war es anscheinend egal, ob wir ihn mochten oder nicht. Schon in seiner Antrittsrede hatte er nicht gerade mit Komplimenten um sich geworfen: »Diese Zeitschrift ist eine Katastrophe«, hatte er gesagt und die letzten fünf Ausgaben von Annika verächtlich auf den Tisch geworfen. »Kein Wunder, dass die Werbekunden ausbleiben, bei dem hirnverbrannten Dreck, den Sie da verzapfen.« Und während wir ihn noch mit schreckgeweiteten Augen angestarrt hatten, war er unverändert deutlich fortgefahren: »Laut Werbung ist unsere Annika jung, trendy und sexy, randvoll mit warmherzigen, brandaktuellen Reportagen. Und was haben Sie daraus gemacht?« Scheinbar wahllos hatte Birnbaum nach einer Nummer gegriffen und gnadenlos aus dem Inhaltsverzeichnis zu zitieren begonnen: » Zwanzig tolle Tipps, mit denen Sie zehn Jahre jünger aussehen! Ich muss schon sagen, das ist sehr sinnvoll für eine Zielgruppe zwischen sechzehn und sechsundzwanzig Jahren! Oder hier, der Psychotest: Sind Sie der Typ für Heimarbeit? Hier finden Sie’s heraus . Oh ja! Das wird die jungen Mädels in Scharen an den Kiosk getrieben haben. Meine Lieblingsreportagen ferner: Sind Schwule die besseren Eltern? Prominentes Beispiel Patrick Lindner . Sehr zielgruppenorientiert. Oder hier: Unterwäsche, die mitdenkt: So mogeln Sie ihre Kilos weg . Auch nicht schlecht: Witwe mit dreißig: Es gibt ein Leben nach dem Schmerz. Und mein absoluter Favorit: Bandscheibenvorfall: So wurde ich meine Rückenschmerzen los . Wirklich warmherzig, das muss man Ihnen lassen.«
Ich hätte beinahe gelacht, obwohl Birnbaum nicht ausgesehen hatte wie jemand, der Witze machte. Aber gerade noch rechtzeitig war mir eingefallen, dass man mich zum Ende meiner Volontärszeit mal eine Story mit dem Titel: »Nie wieder Sex. Mit zwanzig ins Kloster« hatte schreiben lassen. In Erinnerung daran harrte dann auch ich wie alle anderen in gedrücktem Schweigen, bis unser neuer Chefredakteur seine Schmährede zu Ende gebracht hatte.
»Ab jetzt wird alles anders«, hatte er abschließend gesagt, nachdem er sich noch mit beißendem Spott über die viel zu teuren aber stinklangweiligen Modestrecken und das spießige Layout ausgelassen hatte, und es hatte weniger wie ein Versprechen als eine Drohung geklungen. »Ab heute wird hier hart gearbeitet, bis Annika wieder hält, was sie verspricht. Jung, sexy, trendy, randvoll mit warmherzigen, herzergreifenden Reportagen. Und dabei so anspruchsvoll, wie ein Nicht-Hochglanz-siebzig-Seiten-Blatt unter diesen Umständen eben sein kann.«
Seinetwegen und wegen seiner jungen, aktuellen, trendigen und sexy Idee zum Thema »Liebe auf den ersten Klick« saß ich nun hier abends nach elf im Schlafanzug vor dem Computer und ließ mich registrieren, um zum ersten Mal in meinem Leben einen Chatraum zu betreten. Es hatte allein eine halbe Stunde gedauert, bis ich einen Codenamen gefunden hatte. Alle meine Vorschläge waren bereits
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