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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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mich auf dem langen Weg sorgte, mich vor Unglück und Gram behütete, mir den Weg wies, mir Hoffnung und Zuversicht gab, mir gute Menschen zuführte, mich Weißheit und Demut lehrte. Wo stünde ich denn als Mensch ohne diese Pilgerschaft? Der weite Raum vor mir und der Raum meiner Seele verschmolzen, doch konnte ich die Güte des Herren, die ich erfahren habe, darin nicht ganz erfassen. Immer fand ich noch mehr, oft kleine, vergessene Details, wofür ich ihm Dank schuldete. Einiges gab es noch zu hinterfragen, ich hatte die Schmerzen, die kranken Tage, die ich unterwegs erlebte, zu bewerten und einzuordnen. Auch sie gehörten dazu. Wie stand ich zu ihnen, und wo war der Herr, als ich litt? Das Leiden war freilich längst vorbei, fast schon vergessen, aber die Frage war legitim. Andere stellten sie vor mir: „ Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, daß in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte? Und die Antwort? „ Dort wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.“ [87] Manchmal stößt man auf eine Frage und sucht vergebens lange Jahre nach der Antwort, findet sie vielleicht nie, verzweifelt daran. Ich fand die Frage und die Antwort in einem Glaskasten vor einer Kirche. Ein seltsames Ding war das. Einst war ich frei und stark, fürchtete weder Mensch noch Gott, stürmte nach vorn, sah nicht zurück, tat Gutes und Schlechtes ohne Reue. Dann fand ich den Herrn, meinen Begleiter, und nun ist alles irgendwie anders. Nicht schlechter und nicht besser, nur deutlich anders, komplizierter und zugleich einfacher, ganz anders, andere Qualität. In was für eine Welt bin ich da geraten?
    So oder so, es war Zeit zu gehen. Ich verließ das Seminar und zog durch die leeren Gassen, die mit jedem Schritt hinter mir ins Nichts abbrachen. Ich betrat hier einen anderen Raum. Einen mit Abfahrzeiten und anderen mir inzwischen fremden Dingen des Lebens. Ich hatte noch reichlich Zeit, dennoch spürte ich Angst, ich könnte den Bus versäumen, schritt voller Streß und Ungeduld aus. Doch zu der gegebenen Abfahrtszeit stand der ganze Busbahnhof noch bar aller Verkehrsmittel. Nur entnervte Reisende waren da. Ich traf einige meiner Begleiter und konnte noch einige nette Gespräche führen. Dabei merkte ich, daß auch sie eine Traurigkeit über das Ende der Pilgerschaft spüren. Alle waren wir nervös und unkonzentriert. Um so mehr, als alle Busse nach Frankreich und Deutschland zu gleicher Zeit abfahren sollten, wobei eigentlich niemand so richtig wußte, in welchen von ihnen einzusteigen. Die Piefkes waren hier in Minderheit, die meisten reisten ja aufgeklärt mit dem Flugzeug. Auf dem Bahnsteig drängten sie aber geschlossen und schimpften über die spanische Unpünktlichkeit. Als man dann kurzerhand die Busbelegung änderte, brach Chaos aus. Die Deutschen verstanden die Ansagen nicht. Sie kannten ein rudimentäres Denglisch, hielten sich deshalb stolz für Weltbürger und verlangten gleiches von den Spaniern. Diese jedoch sprachen in ihrer Rückständigkeit nur Spanisch und Französisch. Das erboste die Piefkes sehr, manche weigerten sich gar, den „unverständlichen“ Anweisungen zu folgen. Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache, so daß keiner mehr die Sprache des anderen versteht. [88] Es wäre sehr amüsant gewesen, wäre man selbst nicht ein Teil davon. Aber das spanische Personal meisterte alles gekonnt, und mit anderthalb Stunden Verspätung verließen dann alle Busse auf einmal die Apostelstadt. Unbeteiligte mußten wohl annehmen, die Stadt werde evakuiert.
    Ich ertrug all das nicht besonders gut. Nach vier Monaten war mir ein solcher sinnloser Streß nun völlig fremd. Und ich war müde und unausgeschlafen. Die letzte Nacht war hart, die Schlafstörer hatten ihren Triumph. Ein halbes Dutzend Spanier, nachdem sie ihren Sieg über den Camino in der Stadt ausgiebig begossen hatten, kehrten kichernd, schwatzend, bestgelaunt gegen Mitternacht in den Schlafsaal zurück, um fröhlich all die Dinge zu verrichten, die sie am Nachmittag unbeanstandet hätten tun können, hätten sie eben nicht in der Stadt gefeiert. Fast eine Stunde lang war ans Schlafen überhaupt nicht zu denken, und auch danach waren sie ständig zur Toilette unterwegs, um das konsumierte Bier wieder rauszulassen. Sie machten dabei jedesmal das

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