0476 - Der Sohn des Killers
Kurz vor einundzwanzig Uhr fuhr eine dunkelblaue Pontiac-Limousine den Roosevelt Drive hinunter und bog in die Houston Street ein. Am Steuer saß Roger Felkin, der wegen seiner Fahrkünste berühmt war.
»Hast du das Nummernschild sauber gemacht?« fragte Jeff Bronson, der mit angezogenen Beinen wie eine Spinne neben ihm hockte. »Das fehlt uns gerade noch, daß uns wegen so einer Kleinigkeit ein Cop aufhält.«
»Das Nummernschild glanzt wie eine Neonreklame. Darauf kannst du dich Verlassen«, knurrte Roger jetzt.
»Beruhige dich, Rog — wegen so was sind schon die schönsten Fischzüge aufgeflogen. Wenn ich daran denke, wie damals in Chicago…«
»Du redest zuviel.«
Jetzt klang es schneidend aus dem Fond des Wagens. Die Stimme gehörte John Carpenter. Wegen seines Milchgesichtes wurde er Babyface genannt. Er war der gefährlichste und klügste der vier Männer.
Deshalb sollte er auch das Unternehmen leiten, das der Boß bis in alle Einzelheiten auf die Minute genau geplant hatte.
Bisher war Ben Flood, der mit saurem Gesicht neben ihm saß, die rechte Hand des geheimnisvollen Chefs gewesen. John Carpenter hatte ihn vor drei Wochen abgelöst, kalt und rücksichtslos.
»Vergleichen wir noch einmal die Uhren«, sagte John Carpenter aus dem Dunkel heraus. »Bei mir ist es einundzwanzig Uhr und sieben Minuten.«
Zwei Minuten später hielt der Wagen in der Mercer Street, an der Rückfront des Hochhauses, das in den Kellerräumen die Juwelengroßhandlung von Bakev, Norden and Norden beherbergte.
Um diese Zeit war die Geschäftsstraße leer und ausgestorben wie ein Friedhof um Mitternacht. Spätestens um neunzehn Uhr verließen die letzten Angestellten ihre Arbeitsplätze in der City-Pünktlich um einundzwanzig Uhr gab der Signalposten Bill Scott aus der Tür des gegenüberliegenden Hauses das vereinbarte Blinkzeichen: einmal kurz — dreimal lang — dreimal kurz.
»Alles okay«, rief John leise.
Drei Männer stiegen aus dem Wagen und bewegten sich im Gänsemarsch auf das Tor zu. Roger blieb am Steuer.
Abgesehen von der unterschiedlichen Größe glichen sich die drei wie ein Ei dem anderen. Sie trugen die gleichen Hosen und Jacken, die gleichen Schuhe mit dicken Gummisohlen, die gleichen Mützen und Handschuhe.
Auf der anderen Seite verließ Bill Scott seinen Beobachtungsposten. Er folgte den drei Männern.
Jeff Bronson öffnete mit wenigen Handgriffen das schwere, eiserne Tor. Er konnte die Augen dabei schließen, denn in den letzten Wochen hatte er es mehr als fünfzigmal geübt. Vier Tage lag die Generalprobe zurück, bei der sie den Einbruch bis in alle Einzelheiten durchgespielt hatten. Nur die letzte, entscheidende Tür zum Tresorraum war dabei ungeöffnet geblieben.
Die Männer verschwanden im Inneren des Hauses, und Jeff verschloß das Tor, wie er es immer gemacht hatte.
John sah noch einmal auf die Uhr. Es war einundzwanzig Uhr sechzehn. Sie hatten neunundzwanzig Minuten Zeit. Erst um dreiviertelzehn würde der Nachtwächter durchkommen und seinen Kontrollgang beginnen.
Die vier Männer huschten die Eisentreppe zum Keller hinunter. Ihre Gummisohlen dämpften jeden Schritt. Mühelos öffnete Jeff die zweite Tür und dann die dritte, die zu den Räumen der Juwejengroßhandlung führte.
Die Männer sprachen kein Wort. Jeder hatte genau im Kopf, was er tun mußte.
Scott blieb am Eingang zurück. Ben Flood holte eine kleine Instrumententasche aus seinem Jackett und begab sich zum Ende des schmalen Ganges. Mit einem Schlüssel öffnete er die Stahltür, die hinter einem Wandspiegel verborgen lag. Der Strahl seiner Taschenlampe fiel auf dicke, elektrische Leitungen, Kontrolluhren und eine verwirrende Anzahl von Kabelanschlüssen und Kontakten. Er brauchte zwei Minuten, um die elektrischen Sicherungen des Tresorraumes lahmzulegen. Die Stromunterbrechung überbrückte er durch eine geschickte Leerschaltung, so daß die Alarmglocke im nächsten Polizeirevier nicht anschlagen konnte.
Mit der Taschenlampe gab er seinen Komplicen ein Zeichen. Dann öffnete Jeff die nächste Tür und ging mit John Carpenter in einen quadratischen Vorraum, der vollständig leer war.
Sie standen vor der schweren Panzertür, die zum eigentlichen Tresor führte.
Mit Schweißbrennern und Sprengkapseln war sie niemals zu knacken. Das hatten die Gangster auch nicht nötig, denn sie besaßen alle Schlüssel, die sie in mühsamer Kleinarbeit in den vergangenen Monaten angefertigt hatten.
Wirklich ein verdammt leichter Job,
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