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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Der erste Schritt

    Ich tat den ersten Schritt. Einen von Millionen Schritte, die noch folgen sollten, die ich gelobt habe zu tun, und die mich über das halbe Europa nach Santiago de Compostela führen sollten. Wohin sonst auch noch und ob überhaupt wohin, das ließ sich zu dieser Zeit nicht einmal ahnen. Viele, Unzählige sind so aufgebrochen. Scheinbar wohin, eigentlich aber nirgends, angetrieben oder nur mitgelaufen, ausgetretene, vielleicht geliebte, vielleicht gehaßte Pfade hinter sich lassend. Um Amerika zu entdecken, Afrikas Wilde zu kolonisieren, um Jerusalem zu befreien, in China Geschäfte zu machen. Quo vadis? Die Frage ist nicht ganz unbillig. Denn eigentlich könnte man auch im Lande bleiben, sich redlich ernähren und so weiter. Amerika bliebe unentdeckt, Afrika wild und mörderisch, Jerusalem unbefreit, Chinageschäfte auch so rasend getätigt. Wahrscheinlich könnte man damit weiterleben. So stelle ich mir es zumindest vor. Aber die Menschen sind alle Pilger, so oder so, auf ihrem Wege durch das Leben.
    Es war ein wunderschöner Maisonntag, alles blühte, die Vögel zwitscherten. Die beste Zeit, um zu einer großen Unternehmung zu starten. Es überholten mich Mann und Frau auf Fahrrädern. Solide gebautes deutsches Ehepaar in karierten Hemden und Knickerbockern, keine Mountainbiker in Gummihosen etwa. „Wohin soll’s?“ fragte der Mann. „Nach Santiago!“ „So ein Schmarren!“ empörte er sich über die anmaßende Antwort. „Mutti, der macht sich über uns lustig!“ Trotzdem wünschte er mir „viel Spaß“.
    An Spaß dachte ich eigentlich nicht. Doch ist es auch nicht gesagt, daß man unterwegs Erleuchtung oder gar Sinn des Lebens findet. Das möchte man wohl. Gerne hätte man sichtbare Zeichen. Pingpongbälle in der Luft schweben lassen, um die Stadtmauer herum levitieren und ähnlich Publikumswirksames tun. Dem Pilger wird man dergleichen Träume nicht verübeln — bei all den Strapazen. Und war’s nichts, bliebe immer noch die Genugtuung, eine recht ausgedehnte Wanderung gemacht und Leib & Geist gründlich gelüftet zu haben. Ein starkes Stück, sozusagen, mit dem am Stammtisch gepunktet wird. Aber die Heimkehrer sind eher still und bescheiden. Sie haben wohl ihren Spaß gehabt und sind jetzt traurig, da es vorbei ist.
    Den ersten Schritt einer solchen Reise stellte ich mir stets erhaben, merkwürdig vor. Schlimm nur, daß er auch irgendwie peinlich war. Das hätte ich am wenigsten vermutet. Aber so war es. Besser, man täte ihn heimlich. Aber das geht nicht, so einfach vier Monate zu verschwinden. „Ich bin da mal kurz weg“ nannte es ein in Peinlichkeiten wohl geübter Fernsehkomiker, als ihn das Verlangen nach Santiago übermannte. Auch er muß damals etwas Anrüchiges gespürt haben und machte sich unauffällig aus dem Staub. Und er machte es für die anderen noch schlimmer, indem er darüber ein Buch schrieb, das offenbar von allen und jedem gelesen wurde, und seitdem heißt es: „Ach so der Jakobsweg, alles klar, das machen heute viele, da kenne ich einige, das ist populär heutzutage, der Jakobsweg, und überhaupt, das ist eine richtige Mode geworden.“
    Das stelle man sich wörtlich vor. Wohl nicht alle, doch zumindest viele, wenn nicht gar die meisten. Mir nichts, dir nichts besteigen sie den Camino und laufen flink die lausigen dreitausend Kilometer hin, weil es gerade Mode geworden ist. Keiner will hinter dem schwulen, fetten Achwielustig zurückstecken. Was bitte denn sonst als den Camino? Notfalls auch mit dem Bayerischen Pilgerreisebüro mit pneumatischer Gepäckbeförderung und Priesterbegleitung, Meß- und Beichtgelegenheit vor dem Frühstück, nur familiäre Drei-Sterne-Hotels!
    Da kommt man freilich ins Schwitzen, legt Rechenschaft ab, stottert Entschuldigungen und gibt Erklärungen ab. Nein, nein, man habe andere Gründe, Gelöbnis habe man getan in peinlicher Not, das gelte nun nach vielen Jahren und gravierenden chirurgischen Eingriffen einzulösen. „Ja, ja, das verstehe ich, Sie haben Gründe, eine richtige Mode heutzutage, der Jakobsweg, unbedingt, daß es ihnen nur nicht zu viel wird...“ lautet unbeirrt die Antwort. Da zieht man mit eingezogenem Schwanz aus dem Sportbekleidungsgeschäft davon und ist froh, nicht noch als religiöser Fanatiker zu gelten. Wären die Volksmassen auf dem Jakobsweg nicht ein so einträgliches Geschäft, so müßten sie zumindest als ideologisch bedenklich oder gar gefährlich eingestuft werden. Allein deswegen, da sie so

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