Bis dein Zorn sich legt
Klitschkram, über dem die Fruchtfliegen hängen wie eine Wolke, auf Einwanderer und Zigeuner, auf Akademiker, kackvornehme Mistkerle mit einem Stock im Arsch.
Auf Hjalmar. Als Hjalmar dreizehn war, hat Isak aufgehört, ihn zu verprügeln, noch eine Ohrfeige ab und zu oder einen Schlag gegen den Hinterkopf. Aber als Hjalmar achtzehn wurde, war auch damit Schluss.
Der Zorn legte sich nicht. Nur sein Ausdruck hat sich verändert. Mit dem Alter ist Isaks Körper schwächer geworden. Er kann keinen Küchenstuhl mehr hochheben und auf den Boden knallen, sodass die Rückenstäbe brechen. Jetzt muss seine Stimme seinen Zorn tragen. Sie ist schärfer geworden, schriller. Seine Wortwahl gröber. Er sucht tief unten im Misthaufen nach Worten. Er suhlt sich in unflätigen Ausdrücken und Flüchen wie ein Stadtköter in einem Kadaver.
Jetzt strömt sein Zorn auf Kerttu aus ihm heraus. Raus muss er. Alles, was in Isak schwelt.
»Ja, ja, verdammt. Musste sie also schon wieder zum Doktor rennen?«, fragt er als Erstes.
Hjalmar macht sich stark und trinkt einen Schluck Bier.
»Irgendwem muss sie ihre Titten ja wohl zeigen«, sagt Isak und kippt sich das Dosenbier in den Schlund.
»Ja, ein Glück immerhin«, sagt er nun. »Dass es Leute gibt, die sich dafür bezahlen lassen, dass sie nackte alte Weiber anglotzen. Damit allen anderen der Anblick von Dackeltitten, Hängebäuchen und Dörrfotzen erspart bleibt. Nein, für uns sind junge Mädels angesagt, oder was, Hjalle? Nö, aber Scheiße. Davon hat Hjalle ja wohl keine Ahnung. – Du hast doch sicher nie eine gehabt? Oder was?«
Hjalmar will sagen: »Hör jetzt auf«, aber er weiß, dass das keinen Sinn hätte.
Isak merkt dennoch, wie sehr ihn dieses Gerede quält. Dass es ihm zusetzt. Die Bemerkungen über die Mutter und die über Hjalmars Unschuld. Dass er nie eine Frau gehabt hat. Isak kann es ja nicht sicher wissen, aber er hat die Wahrheit eben gewittert.
»Nicht mal ein Fick im Suff, was?«, sagt er.
Und es erleichtert ihn einwandfrei. Der Druck in Isak lässt nach, wenn er sich zu Hjalmars Qualen durchschnüffelt. Hjalmar betrachtet seinen fetten Bauch, der sich über seine Oberschenkel ergießt.
»Jetzt hast du genug über Mutti gesagt«, sagt er und gießt Wasser auf die Steine, dass der Rauch nur so zischt und brodelt.
Isak zögert für einen Moment. Hjalmar widerspricht sonst nie. Aber dann kann er sich doch nicht beherrschen.
»Du glaubst«, nuschelt er, und jetzt sind seiner Sprache die Schnäpse im Dorf und das Starkbier anzuhören, »du hältst sie für eine Heilige.«
Er lässt sich gegen die Saunawand zurücksinken und lässt einen fahren.
»Scheißheilige«, sagt er. »Wenn du wüsstest. Im Herbst ’43. Die Widerstandsgruppe versteckte dänische und norwegische Widerstandskämpfer und finnische Deserteure. Sie konnte die Leute so wahnsinnig gut zum Reden bringen. Süß und jung und harmlos, weißt du. Einmal. Da ging es eben um dänische Widerständler, die vor der Zwangsarbeit auf einem deutschen Erzfrachter geflohen waren, der im Hafen von Luleå lag. Drei Stück. Sie ging zum Tanz und brachte einen Kerl dazu, alles zu verraten. Alles. Die blöde Gans. Sie saßen in einer Holzfällerhütte. Sie haben kein gutes Ende genommen.«
Hjalmar könnte sich vor Widerwillen krümmen. Was? Was erzählt der Vater da?
Isak dreht sich zu Hjalmar hin. Etwas, das einem Lächeln ähnelt, auf seinem Gesicht. Ein Grinsen. Für Hjalmar sieht er aus wie eine Schlange, etwas, das man findet, wenn man einen Stein umdreht. Die gelben Greisenzähne ragen aus seinem Maul. Er hat keine Prothese, aber mit seinem Gebiss ist nicht mehr viel Staat zu machen.
»Was ist aus Simon und Wilma geworden?«, fragt Isak jetzt.
Hjalmar zuckt mit den Schultern.
Isak weiß es nicht. Niemand hat es ihm gesagt. Aber er ahnt natürlich etwas. Jetzt bringt der Alkohol ihn dazu, zu fragen. Er ist wütend, weil er ausgesperrt ist, außen steht. Er ist in die Schublade für Greise einsortiert werden. Für die, die beschützt werden müssen. Auf die kein Verlass ist. Er darf nichts erfahren. Er darf nicht Auto fahren. Der Zorn frisst ihn von innen her auf wie ein Schmarotzer.
»Sie wird in der Hölle schmoren«, sagt er. »Du glaubst wohl, dass ich das tun werde. Aber sie wird viele Stufen tiefer landen. Das sag ich dir.«
Jetzt ändert sich seine Stimmlage. Er versinkt in Gedanken.
»Das sag ich dir, das sag ich dir«, sagt er einige Male.
Dann verstummt er. Scheint zu bereuen, dass er
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