Bis dein Zorn sich legt
Bescheid.«
Nein, nein. Er darf nicht auflegen. Sie sieht einen Jungen mit tränenverschmiertem Gesicht vor sich.
»Nein, das reicht nicht«, versucht sie es. »Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sagst? Hier rufen dauernd Leute an, die irgendwas gestehen wollen …«
Aber er hat schon aufgelegt.
»Verdammt!«, ruft sie so laut, dass die Hunde zusammenfahren und sie ansehen.
Aber kaum haben sie erkannt, dass Rebecka nicht böse auf sie ist, widmen sie sich wieder ihren Angelegenheiten. Vera hat einen Tannenzapfen gefunden und legt ihn Tintin zu Füßen. Sie weicht einige Schritte zurück und senkt den Oberkörper. Komm schon, sagt sie. Wir spielen ein bisschen. Wollen doch mal sehen, ob du ihn schneller erwischen kannst als ich. Tintin gähnt demonstrativ.
Rebecka versucht, Anna-Maria Mella anzurufen, kommt aber nicht durch.
»Ruf mich sofort an«, sagt sie zum Anrufbeantworter.
Sie schaut die Hunde an. Vera hat Erde und Lehm an den Beinen und unter dem Bauch. Tintin hat sich am Hals und unter den Ohren mit Pferdedung parfümiert.
»Schweine«, sagt sie zu ihnen. »Verbrecherbande. Was soll ich tun?«
Und kaum hat sie das gesagt, da weiß sie es. Sie muss zu ihm nach Hause fahren. Damit er nicht abhaut. Die Hunde. Die muss sie mitnehmen. Verdreckt und stinkend.
»Ihr müsst mitkommen«, sagt sie zu ihnen.
Aber nein. Zu Hause bei Hjalmar Krekula macht niemand auf. Rebecka rennt durch den matschigen Schnee um das Haus und schaut durch die Fenster. Sie klopft auch dagegen. Er ist nicht zu Hause, entscheidet sie. Sein Auto steht ja auch nicht dort.
Anni Autio. Die weiß es vielleicht.
Bei Anni Autio macht auch niemand auf.
Über dem Haus kreist eine Schar Raben, immer wieder im Kreis.
Was ist mit denen los, überlegt Rebecka.
Die Tür ist unverschlossen, und Rebecka geht ins Haus.
Anni liegt auf der Küchenbank. Ihre Augen sind geschlossen.
»Verzeihung«, sagt Rebecka.
Anni öffnet das eine Auge.
»Ich … die Tür war nicht abgeschlossen, und da … ich suche Hjalmar Krekula. Sie sind doch seine Tante Anni, oder? Wissen Sie, wo er ist?«
»Nein.«
Das Auge schließt sich wieder.
Wenn ich das wäre, denkt Rebecka. Ich würde mich in der Hütte verkriechen.
»Hat er irgendwo eine Hütte?«
»Wenn ich erzähle, wo die liegt, ich kann eine Karte zeichnen, lässt du mich dann in Ruhe? Ich will seinen Namen nicht hören. Ich will mit niemandem reden. Hilf mir hoch. Da bei der Waage auf der Anrichte liegen Papier und ein Stift.«
Wenn ich zu spät komme, denkt Rebecka, als sie wie eine Wahnsinnige über die E 10 fährt und dann dem Kuosanenväg hinunter zum Kalixälv folgt. Wenn er sich erschossen hat. Wenn er in einer Blutlache auf dem Boden liegt. Wenn sein Hinterkopf weg ist. Wenn sein Gesicht weg ist. So kann es sein. So kann es kommen.
Sie versucht wieder, Anna-Maria anzurufen. Nur der Anrufbeantworter.
»Ich bin unterwegs zu Hjalmar Krekulas Hütte«, sagt sie. »Er hat die Morde an Wilma und Simon gestanden. Und ich habe kein gutes Gefühl. Werd jetzt nicht sauer, es besteht keine Gefahr. Aber ruf an. Wenn ich antworten kann, dann antworte ich.«
Dann ruft sie Krister Eriksson an.
»Hallo«, antwortet er, ehe sie irgendetwas sagen kann.
Es ist ein so weiches Hallo. Es klingt glücklich darüber, dass sie anruft, und intim. Es klingt wie ein Hallo in der Sekunde, ehe man die Hand unter die Haare einer Geliebten und um ihren Nacken legt. Er hat gesehen, dass sie es ist, und deshalb klingt er so. Es ist ein Hallo für eine Liebe.
Sie verliert den Faden. Ein heißer Strom von einem Punkt zwischen den Rippen in den Schritt.
»Wie geht es denn meinem Mädel«, fragt er dann, und sie braucht eine Sekunde, um zu begreifen, dass er von Tintin redet.
Sie antwortet, es gehe gut, und dann bringt sie ihren Spruch, dass Tintin einmal dem Polizeialltag entfliehen und nur Hund sein und sich in Pferdeäpfeln wälzen musste.
»Das ist mein Mädel«, sagt Krister Eriksson mit stolzem Lachen.
Dann erzählt Rebecka, wohin sie unterwegs ist und warum.
»Wir haben am Dienstag bei ihm eine Durchsuchung vorgenommen«, sagt sie. »Ich weiß nicht, wie ich das hier erklären soll.«
Krister Eriksson wird ernst und stumm. Immerhin sagt er nicht, dass sie auf keinen Fall allein hinfahren darf.
»Ich habe einen anderen Menschen gesehen, als ich ihn angeschaut habe«, sagt sie jetzt. »Es kam mir vor, als sollte ich das, nicht ihm direkt helfen, aber es war so, dass wir auf irgendeine Weise
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