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Die Lokomotive (German Edition)

Die Lokomotive (German Edition)

Titel: Die Lokomotive (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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I.
     
    Ich spürte meinen Puls schwer im ganzen Körper, in meinen Handgelenken, meiner Brust und in den Schläfen. Geräuschvoll schnappte ich nach Luft. Der beißende Geschmack in meinem Mund erzeugte einen Hustenreiz und der Husten Schmerzen im Unterleib.
      Ich riss die Augen auf und starrte in eine dunkelbraune Ursuppe, die träge vor meinen Augen hin und her schwappte, wie in einer gigantischen Schüssel ohne Ränder. Kein Unterschied in Farbe oder Gestalt. Auch Blinzeln half nicht. Schlieren verwischten ineinander, und orangefarbene Sterne explodierten in einem stroboskopen Rhythmus. Mein Kreislauf war kurz vor dem Kollaps. Ich musste bewusstlos gewesen sein. Ich durfte auf keinen Fall wieder ohnmächtig werden.
      Eine Hand berührte meine Stirn. Es war meine Hand, die linke, ich sah sie nicht, und die rechte konnte ich nicht bewegen, auch nicht meine Beine, keinen Millimeter. Ein undefinierbares Gewicht drückte mich zu Boden.
      Mit der Zunge fuhr ich über meine Zähne. Sie waren alle in Ordnung, der metallene Geschmack von Blut in meinem Mund rührte nicht von ihnen.
      In meinem Kopf hämmerte der Schmerz gegen die Schädeldecke wie eine kranke Taube, die sich in ein Wohnzimmer verirrt hat und mit Wucht gegen die Wände fliegt. Immerhin konnte ich meinen Kopf mühsam anheben. Es schmatzte unter mir, meine feuchten Haare zogen an meiner Kopfhaut und krallten sich zäh in den klammen Untergrund.
      War das Blut? Blutete ich am Kopf?
      Vorsichtig tastete ich meinen Hinterkopf nach einer Wunde ab. Mehlig kalter Schmant verklebte meine Haare. Eine Verletzung konnte ich nicht feststellen. Wie sehr ich mich auch anstrengte, egal wie nah ich meine Hand vor meinen Augen bewegte, ich konnte nicht sehen, ob sie blutverschmiert war. Dafür konnte ich erkennen, worum es sich bei dieser dunkelbraun wabernden Masse handelte. Es war Staub. Und hinter der Wolke existierte eine schwache Lichtquelle.
      Der Staub brannte auf meiner Netzhaut, so dass meine Augen tränten.
      Ich berührte mit meinen Fingern die Nase, roch an ihnen, aus Sorge es könnte mein Blut sein, aber ich wusste noch nicht einmal, ob Blut einen Geruch verströmte, und falls doch, ob ich es ausgerechnet jetzt riechen konnte. Alles stank nach Öl, Metall und Maschine. Jede Pore des sich legenden Staubes war durchdrungen davon. Es kitzelte in meiner Nase, und ich musste niesen. Ein stechender Schmerz schoss von meinem eingeklemmten Bauch ausgehend durch meinen Körper.
      Hatte ich etwa innere Verletzungen? Bauch, Leber, Niere? Verblutete ich innerlich?
      Ich scheiterte bei meinem Versuch, den Hustenreiz zu unterdrücken. Wieder dieser Schmerz! Ich bildete mir ein, es wären die Muskeln, die sich unter dem unsäglichen Gewicht anspannten und darunter keinen Platz fanden. Es war ein trockenes Husten, ein echoloser Laut, geschluckt vom schalldichten Raum.
      Rauschen in meinen Ohren. Ich hörte mich atmen. Wie ein gehetztes Tier hinter einem Gebüsch. Allmählich schälten sich Konturen aus dem dichten Schleier: Kanten, Zacken und ein großer dunkler Kreis, wie ein schwarzes Loch oder das Auge eines Wals.
      Mit dem Licht durchdrang leise Musik mein Meer aus Sepia. Musik aus Kopfhörern, die nicht in Ohren steckten. Zuerst nur der Beat,  schließlich Fetzen eines unverständlichen Sprechgesangs.
      Ich erinnerte mich. Das war die Musik, die das Mädchen gehört hatte, schräg gegenüber von mir in dem Zugabteil. Ja, ich hatte in einem Zug gesessen. Und der hatte auf offener Strecke gehalten. Und dann?
      Neben mir formte sich ein figurloser Klotz zu dem zersplitterten Rest einer Sitzbank. Die Lichtquelle über mir entpuppte sich als der beschädigte Stirnscheinwerfer der Lokomotive, und das schwarze Loch war gar keines, sondern einer ihrer mächtigen Puffer, der eine Armlänge entfernt dunkel über meinem Gesicht schwebte.
     
     
    Ein Unfall, dachte ich, der Zug war entgleist, und ich hatte überlebt. Ich lag unter einer Lokomotive, oder unter dem, was von ihr übrig geblieben war. Um mich herum die zusammengeschobenen und ineinander verkeilten Wagons.
      Sollte der Berg aus Schrott über mir nachrutschen, würde der Puffer meinen Kopf in den Erdboden treiben.
      Hitzewallungen. Mein Gesicht glühte unter Wellen fieberähnlicher Temperaturschübe, die mich mit schüttelfrostartigen Zitteranfällen durchströmten.
      „Hil...“, ich wollte rufen, aber meine staubbedeckte Kehle schnürte sich zu.
      Wieder die Schmerzen beim

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