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Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Buettner
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blöde Telefon zwischen uns störte mich auf einmal.
    Er schien sich zu freuen. »Na klar. Von mir aus immer.«
    Â»Es muss Ruhe einkehren«, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Um jeden Preis.«
    Der, den sie den »Boss« nennen, der aber in Wahrheit nur ein Rädchen im Getriebe ist, wirkt erleichtert.
    Â»Geht klar«, sagt er.
    So wie er es schon hundertmal zuvor gesagt hat, wenn es darum ging, seine Leute zur Räson zu bringen oder einen neuen Coup vorzubereiten. Er hat es sich zum Prinzip gemacht, nur die Anweisungen dieser einen Telefonstimme zu befolgen. Niemand sonst ordnet an, wo es langgeht, was er zu tun und zu lassen hat. Zu dieser Stimme hat er absolutes Vertrauen. Er gehorcht ihr blind.
    Den dazugehörigen Mann hat er noch nie gesehen, aber das ist auch nicht wichtig. Die Stimme verkörpert für ihn die »Organisation«. Und der »Organisation« hat er alles zu verdanken. Alles.
    Sie hat ihn aus der Gosse geholt, als er damals aus dem geschlossenen Heim abgehauen ist. Und sie hat dafür gesorgt, dass er nicht wieder zurückmusste in diese Folteranstalt. Die Organisation hat ihm Brot, Arbeit und ein Dach über dem Kopf gegeben. Und das alles hat sich während der letzten Jahre sogar noch verbessert: Aus dem Brot ist längst ein Braten geworden, vom Handlanger hat er sich zum Boss hochgearbeitet, die Räume unter seinem Dach sind nicht mehr ärmlich. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis aus dem Braten Kaviar, aus dem Boss ein wirklicher Chef und aus der mittelprächtigen Wohnung eine richtige Villa geworden ist. Champagner und scharfe Weiber gibt es auch jetzt schon hin und wieder. Aber irgendwann wird das alles dazugehören wie der Luxusschlitten vor der Tür schon jetzt.
    So jedenfalls hat er gedacht, bis ihm diese saublöde Sache passiert ist. Dabei ist es wirklich keine Absicht gewesen. Er hat diesen Idioten ja nicht umbringen wollen. Einen Denkzettel wollte er ihm verpassen, sonst nichts. Einen Denkzettel, der schon wegen der anderen nötig war. Seine Autorität durfte auf keinen Fall infrage gestellt werden. Einer muss diesem Haufen sagen, wo es langgeht. Das hatte die Stimme am Telefon ihm lange genug eingebläut. Niemand darf daran zweifeln, dass richtig ist, was er sagt und macht.
    Wer es doch tut, gefährdet die Ordnung. So lautet die Grundregel der »Organisation«. Immer hat er an diese Grundregel geglaubt. Sie ist der Boden, auf dem er steht. Die Luft, die er atmet. Der Braten, der ihn satt macht.
    Noch nie hat er Angst gehabt, wenn er die »Stimme« angerufen hat. Respekt ja, ausdrücklich und immer. Aber keine Angst. Sie ist wie der Vater, den er nie gehabt hat. So wie er ihn sich wünscht: hart, aber gerecht. Jemand, vor dem man Respekt haben muss, aber niemals Angst.
    Nicht mal, als er den Toten aus der Tankstelle melden musste, hat er Angst verspürt, obwohl er wusste, dass die »Stimme« ungehalten reagieren würde. Aber jetzt, da er einen Tag nach dieser Mitteilung erneut anrufen muss, um einen weiteren Toten zu melden, der diesmal einer von seinen Leuten ist, zittern seine Hände beim Bedienen der Tasten.
    Umso größer ist seine Erleichterung, als er die Meldung erstattet hat und die Stimme am anderen Ende lässig erwidert: »Ein Betriebsunfall. So was kann vorkommen. Bedauerlich, gewiss. Aber nicht zu ändern.«
    Er zerfließt fast vor Erleichterung. Er wird alles tun, was diese Stimme in Zukunft noch von ihm verlangt. Wenn es sein muss, auch töten.
    Dass er nicht die ganze Wahrheit gesagt hat, ist längst verdrängt. Als er von einem »Unfall« sprach, hat er schon selbst daran geglaubt, dass es einer war. Dementsprechend konnte er so überzeugend sein. Von der Wut, die ihn erfüllte, als er auf den Wehrlosen einschlug, hat er nichts erzählt.
    Warum sollte er darüber reden? Tot ist tot. Wen kümmert es also? Den Toten ganz sicher nicht mehr. Und die »Stimme« will er nicht unnötig erzürnen, so wie man einen Vater nicht erzürnen will.
    Â»Die Leiche ist … entsorgt?«, vergewissert sich der andere. »Selbstverständlich«, antwortet er.
    Den zweiten, wahrscheinlich schlimmeren Teil der Meldung hält er vorerst zurück. Auch wenn ihm klar ist, dass er nicht drum herumkommt, ihn noch in diesem Gespräch zu geben. Dass einer aus der Gruppe verschwunden ist, erwähnt er dagegen ganz bewusst nicht. Er hofft,

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