Bis einer stirbt
kriegen, das ist alles.«
Ich wusste genau, dass sie Recht hatte.
»Nein«, sagte sie, stand auf und drückte die halb gerauchte Zigarette in den Aschenbecher. »Tut mir leid, mein Kind, aber das kannst du vergessen.«
Mit schweren Schritten machte sie sich auf den Weg zu ihrer Kasse zurück. Die Zigarette hatte sie nicht richtig ausgedrückt. Blauer Qualm stieg in die ohnehin miese Luft.
Beim Rausgehen fiel mein Blick noch einmal auf die Zeitung mit dem Bild des Toten. Und plötzlich wusste ich, woher ich das Schildkrötentattoo kannte. Warum war mir das nicht eher eingefallen? Ich verglich das Foto mit meiner Erinnerung. Als ich ihn lebend gesehen hatte, war sein Gesicht fast schön gewesen, wovon auf diesem Bild nicht viel übrig war. In Panik flogen meine Gedanken zurück zu Pit.
»Soll ich dir ein paar Rühreier mitmachen?«, fragte Nils, als ich eine halbe Stunde später bei ihm aufkreuzte. Nachdem er mir die Tür geöffnet hatte, ging er zurück zum Herd.
Seine Frage überhörte ich. Ohne meine Jacke auszuziehen, reichte ich ihm den Zettel mit den Satzfetzen aus dem Gespräch mit Pit.
»Kannst du damit irgendwas anfangen?«, fragte ich.
Ãberrascht sah er mich an und las. Ohne den Zettel zur Seite zu legen, kippte er mit der anderen Hand verquirlte Eimasse in die Pfanne.
Ich fragte nach dem Telefonbuch. Nils zeigte stumm auf eine Schublade.
Ich setzte mich mit dem Buch an den Tisch und begann hektisch darin zu blättern. R â R â R, wann kam denn das verdammte R? Nils nahm abwechselnd mich, den Zettel und das Rührei in Augenschein. Endlich war ich beim R.
»Was suchst du eigentlich?« Nils hatte die Pfanne vom Herd genommen und stand jetzt neben mir.
»Die Adresse von dieser Werft. Röder. Was sonst?«
»Ich glaub, da kannst du lange suchen«, meinte er. »Soviel ich weiÃ, gibt es keine Röder-Werft. Jedenfalls nicht hier bei uns. Kann es sein, dass er in einer anderen Stadt ist?«
Erschrocken sah ich ihn an.
»Bremen vielleicht?«, vermutete er. »Oder Hamburg? Da gibt es jede Menge Werften.«
»Quatsch! Was soll er denn in Bremen oder Hamburg? Warum nicht gleich New York?«
Ich blätterte weiter, bis ich auf Röder stieÃ. Wer garantierte mir, dass Nils tatsächlich jede Werft in der Stadt kannte? SchlieÃlich war er nicht allwissend.
Auch wenn er wieder mal richtig lag. Zwar gab es ein paar Röders in der Stadt, auch welche mit Rh, aber eine Werft war nicht dabei. Plötzlich war Nils verschwunden.
Ich fand ihn in seinem Zimmer. Mit dem Zettel in der Hand saà er vorm PC , der gerade hochfuhr.
»Ich seh mal nach«, sagte er, »ob es irgendwo anders eine Röder-Werft gibt. Wir müssen es wenigstens ausschlieÃen können.« Er lehnte sich weit auf seinem Stuhl zurück und wartete. Gedankenverloren spielte er mit dem Zettel in seiner Hand und starrte Löcher in die Luft.
»Was ist?« Ich wurde langsam ungeduldig. »Warum gehtâs nicht weiter?« Wir hatten keine Zeit zu verlieren.
»Kleinen Augenblick. Wie steht es hier?«
Mindestens zum hundertsten Mal betrachtete er meine Notiz, als sei sie das Buch der Weisheit. Ich kannte die Wortfetzen längst auswendig und wiederholte ungeduldig: »â¦Â Vormittag treffen? â¦Â Uhr. Bei Röder ⦠Werft am â¦fen.«
»Falsch!«, sagte er. Er war plötzlich ganz aufgeregt. »Hier steht nicht Röder, hier steht nur Röd â¦Â«
»Tolle Erkenntnis«, spottete ich. »Was macht denn da den Unterschied?«
»Ebenso gut kann es Rödel heiÃen oder Rödelmeier oder Rödecker oder ⦠Ich hab noch eine andere Idee. Vielleicht hast du ja die Punkte falsch gesetzt? Die Verbindung war ja ganz schlecht, oder?«
Ich hatte keinen Schimmer, auf was er hinauswollte. Er nahm Stift und Zettel zur Hand.
»So«, sagte er, »hast du es gehört und dir notiert.« Er schrieb: Röd ⦠Wollte er mich vielleicht auf den Arm nehmen?
»Kann aber nicht auch das hier richtig sein?« Wieder schrieb er, diesmal: â¦Â röd â¦
Eine Weile glotzte ich dümmlich aufs Papier, bis ich endlich kapierte.
»Natürlich kann es auch so gewesen sein. Der Empfang war ja andauernd gestört. Aber was ändert das?«
Wie nebenbei malte er ein »e« und ein »r« über die hinteren Punkte. Jetzt stand da:
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