Bis einer stirbt
nach Feuchtigkeit und kaltem Stein. Der Atem ballt sich in kleinen, trüben Wolken vor den Gesichtern.
»Verdammte Scheiße!«, brüllt plötzlich Adrian, der Älteste. Er ist der inoffizielle Anführer. »Warum hast du das gemacht, du gottverdammter Vollidiot?!«
Die Worte hallen wider in dem riesigen Raum, dessen Decke fast zehn Meter hoch ist. Adrian geht auf den Typen los, der den Schlag in der Tankstelle geführt hat. Es ist der Jüngste, kaum vierzehn Jahre alt. Er packt ihn am Jackenkragen, reißt ihn ein Stück nach oben, schüttelt ihn wie einen Obstbaum. Der Junge ist schmächtig und klein, sein Haar ist kurz geschoren. Seine Ohren sind groß und stehen weit vom Kopf ab. Es ist immer gut, einen Kleinen dabeizuhaben – für besondere Aufgaben.
»Wie kann man nur so bescheuert sein!«, schreit Adrian. Der Junge starrt ihn vollkommen ausdruckslos an. So als wisse er überhaupt nicht, was der andere von ihm will. Auch als Adrian ihn links und rechts ohrfeigt, verzieht er keine Miene. Adrians kleiner, straff gebundener Zopf wippt auf und ab. Mit einem brutalen Ruck presst Adrian sein Opfer an die Wand. Sein Kopf schlägt dagegen, aber auch das scheint der Junge kaum zu spüren. Wieder wird er ins Gesicht geschlagen, etwas Blut sickert aus seiner Nase.
»Lass ihn.« Es ist die raue, ein wenig heisere Stimme des Mädchens, das in der Tankstelle in der hinteren Ecke gestanden hat. Sie ist schlank und groß, überhaupt sehr hübsch, nur blass und mit Schatten unter den geröteten Augen. Seit sie ein paarmal mit dem Boss im Bett war, besitzt sie einen gewissen Einfluss in der Gruppe. »Es hat keinen Sinn, dass hier noch jemand totgeschlagen wird.«
Adrian hält inne, als überlege er tatsächlich, und lässt plötzlich von dem Kleinen ab, der an der Wand in die Hocke sackt und nun unvermittelt zu weinen beginnt.
»Jetzt heult der auch noch!«, schaltet sich der Vierte ein, der bisher geschwiegen hat. Es ist der, der beim Überfall die Faust des späteren Opfers auf den Kopf bekommen hat. Er ist hier der Frauenliebling. Nicht nur wegen seines ebenmäßigen Gesichts, sondern auch, weil er Charme entfalten kann und leicht die richtigen Worte findet. Aber jetzt ist auch er mit den Nerven am Ende. »Ich fass es nicht. Aber ich hab ja immer gesagt, dass Kinder keine Männerarbeit machen sollen. Jetzt haben wir den Salat. Verdammter Mist!«
All diese kleinen Scheißer erinnern ihn an seinen jüngeren Bruder, der vor zwei Jahren beim U-Bahn-Surfen in Hamburg tödlich verunglückt ist. In diesem Alter sollte man besser zu Hause Playstation spielen, statt auf Abenteuersuche sein Leben zu riskieren. Am liebsten würde er sie alle davor bewahren, in der Gang mitzumachen. Aber diese Zwerge sind ja auch noch stolz darauf!
Jetzt holt er mit dem Fuß aus und tritt wütend gegen ein altes, abgeschabtes Metallregal, das danach scheppernd durch den Raum fliegt.
»Dreht ihr jetzt alle durch oder was?!«, schreit das Mädchen und fügt etwas ruhiger hinzu: »Das bringt doch nichts. Lasst uns erst mal abwarten. Vielleicht ist der Typ ja gar nicht tot. Manchmal sieht das nur so aus.«
»Ach, und woher weißt du, wie so was aussieht?«, fragt Adrian gereizt.
»Ich weiß es eben. Auf jeden Fall könnte er noch am Leben sein.«
»Der ist so tot, wie einer nur tot sein kann«, sagt der Vierte. »Ich hab mal ’nen Toten gesehen. Der sah auch so aus.« Keiner fragt nach, aber er meint die Leiche seines kleinen Bruders, von der sie alle nichts wissen. Da war so ein Ausdruck im Gesicht seines Bruders gewesen, den er sonst noch nirgends gesehen hatte, weder vorher noch nachher: eine Mischung aus Erstaunen und innerer Überlegenheit. Seltsamerweise war das Gesicht im Gegensatz zum Körper fast unversehrt gewesen, als er ihn Minuten nach dem Unglück auf dem Bahnsteig gesehen hatte. Und genau diesen Ausdruck hat er im Gesicht des Toten aus der Tankstelle wiedergefunden. Er schluckt die Tränen hinunter. Eine Übung, die er bis zur Perfektion beherrscht.
Wieder schweigen sie alle. Nur der Kleine hockt noch immer zusammengekauert an der Wand und heult. Das ist minutenlang das einzige Geräusch. Adrian erwacht als Erster aus seiner Lethargie.
»Wir müssen den Boss anrufen. Er muss wissen, was passiert ist.« Er zückt sein Handy, drückt eine Nummer. »Er wird uns sagen, was wir machen sollen.«
Alle Blicke kleben an ihm, als er das Telefonat beginnt. Auch der Jüngste hört plötzlich mit dem Schluchzen auf. Sie starren Adrian an,
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