Bis einer stirbt
gerettet hat«, meinte Nils. »Gut, dass sie uns was vorgemacht hat. Und Fred Lohmeier, wo ist der?«
»Unterwegs zum Präsidium«, sagte Marlena. »Er ist uns direkt in die Arme gelaufen.«
»Kein Widerstand?«, fragte Nils erstaunt.
»Eigentlich nicht der Rede wert«, grinste Marlena. Was genau hinter ihrem Grinsen steckte, ließ sich nicht ergründen.
»Letztlich war er es, der uns zu euch geführt hat. Wenn auch nicht ganz freiwillig.«
»Auf die hier«, sagte Nils und deutete mit dem Kinn auf Nina, die völlig in sich zusammengesackt war, »solltest du ein Auge haben. Noch mal lauf ich ihr jedenfalls nicht hinterher. Da kannst du Gift drauf nehmen.«
»Epilog«
»Wir gehen davon aus«, sagte Marlena, »dass Fred Lohmeier nur ein winziges Rad in einem riesigen Getriebe ist.«
Wir fuhren mit dem Auto quer durch die Stadt. Wir hatten es nicht eilig. Bis zu unserem Termin war noch Zeit.
»Aber an die Hinterleute ranzukommen ist enorm schwer, wenn nicht unmöglich. Selbst wenn Lohmeier wollte, er könnte uns nichts über sie sagen, was uns weiterführt. Einfach weil er nichts weiß, obwohl er seit Jahren seine Anweisungen von derselben Person am Telefon erhält. Nach seiner Verhaftung haben die Verbindungsleute sofort den Kontakt zur Restgruppe abgebrochen. Von denen werden wir hier nie wieder etwas hören oder sehen, davon gehen wir sicher aus.«
»Was aber nur heißt, dass sie woanders weitermachen werden, oder?«
»Leider ja. – Aber immerhin haben wir es geschafft, die Täter hier vor Ort ausnahmslos dingfest zu machen. Wenigstens ein kleiner Erfolg. Schon nach dem ersten Verhör hat Lohmeier sie alle ans Messer geliefert. Eine traurige Gestalt, ohne das geringste Rückgrat. Deswegen ließ er sich auch von oben so gut steuern.«
Im Gegensatz zu sonst fuhr Marlena heute langsam wie eine Schnecke. »Nur der Täter aus der Tankstelle«, sagte sie, »fehlt uns noch. Er ist in Hamburg untergetaucht. Wir hoffen, dass wir ihn lebend finden. Aber der Sumpf dort ist groß und unübersichtlich. Die Festgenommenen sind alle Jugendliche und junge Erwachsene, nach denen aus verschiedenen Gründen niemand groß gefragt hat; Leute, die ohne festen Wohnsitz durch die Gegend ziehen und für die verschiedensten Aufgaben eingesetzt werden. Die Gruppe ist dann gezielt ergänzt worden durch Kids aus den jeweiligen Städten.«
»Wie zum Beispiel Pit?«, fragte ich.
»Genau. Um an diese Jugendlichen heranzukommen, wurden Lockvögel ausgesandt, Nina war einer von ihnen. Die wiederum hat Lohmeier durch falsche Versprechungen und mithilfe von Drogen gefügig gemacht. Im Grunde ist Nina ziemlich arm dran.«
Wahrscheinlich erwarteten sie mehrere Jahre Jugendstrafe. Sie war nicht nur beim letzten Tankstellenüberfall dabei gewesen. Nach allem, was wir mit ihr erlebt hatten, fiel es mir schwer, Mitleid für sie zu empfinden.
»In der entsprechenden Szene«, erklärte Marlena weiter, »wurden dann von diesen Lockvögeln gezielt Leute angesprochen, die sich mehr oder weniger selbst überlassen waren. Straßenkids oder Jugendliche, die zu Hause Probleme hatten, was ja auch bei Pit der Fall war.«
Mir wurde heiß und kalt, denn irgendwie fühlte ich mich für diese »Probleme« mit verantwortlich. Aber immerhin arbeiteten wir jetzt dran. Gerade waren wir auf dem Weg zum städtischen Beratungszentrum, wo Marlena uns einen Termin für die ganze Familie vermittelt hatte.
»Es ist wichtig«, hatte sie gesagt, »dass ihr alle mitmacht. Schließlich ist jeder ein Teil des Ganzen. Und jeder spielt darin seine Rolle.«
Der Einzige, der diesmal nicht dabei sein konnte, war Pit, der noch im Krankenhaus lag. Er war nach den Vorfällen total geschwächt und befand sich noch immer in einem schockähnlichen Zustand. Außerdem hatte sich seine Verletzung am Knie schwer entzündet. Es war fast Ironie, dass meine Messerwunde besser verheilte als seine Nagelverletzung.
Bei unserem ersten Beratungsgespräch würde Marlena als vierte Person dabei sein. Der Vorschlag war von den Beratern gekommen und ich fand ihn gut. Meine Eltern auch. Wobei mich wunderte, dass mein Vater überhaupt mitging. Obwohl Marlena ihm ganz deutlich gesagt hatte, dass auf ihn vielleicht noch eine Einzeltherapie zukam, wenn er seine Trinkerei nicht alleine in den Griff kriegte. Anscheinend hatte aber auch er inzwischen kapiert, dass es so nicht weiterging. Was mit mir und vor allem mit Pit passiert war, schien für ihn letztlich ein heilsamer Schock.
Marlena hatte mich,
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