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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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Buchführung übernommen. Meine Oma hat zuerst nur den Kopf geschüttelt. So was könne ein Zehnjähriger nicht, hat sie Mama gewarnt, selbst wenn er noch so gut in Mathe sei. Wahrscheinlich brauchte ich kein halbes Jahr, um uns in den Ruin zu treiben. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich unser Geld zusammenhalte. Seitdem lässt sie mich in Ruhe – wenigstens was unsere Konten bei der Bank angeht.
    Nicht dass jemand denkt, es ginge uns schlecht. Im Gegenteil. Meine Mutter ist nämlich ein Genie. Ohne Scherz. Wahrscheinlich ist sie das langsamste Genie, das je auf diesem Planeten gelebt hat. Aber sie ist eins. Schon als Kind hat sie das Papier, mit dem sie die Geschenke für ihre Freundinnen eingepackt hat, selbst bemalt. Heute entwirft sie Geschenkpapier, und zwar so gut, dass sich Kaufhaus- und Parfümerieketten um sie reißen. Wenn sie in ihrem Zimmer arbeitet, vergisst sie alles um sich herum. Manchmal setze ich mich zu ihrund schaue ihr zu. Sie fängt irgendwo auf dem Blatt Papier mit einem Strich oder einem Punkt an. Und später kommt dann das tollste Muster heraus. Oder auch nur zwei große farbige Flächen. Fragt mich einer nach ihrem Beruf, sage ich: »Geschenkpapier-Designerin.« Das glaubt mir zwar keiner, doch das ist mir egal. Ich weiß, was Mama kann.
    Bis vor zwei Jahren hat meine Mutter ihre Entwürfe für ein mickriges Honorar gezeichnet. DD war Vertreter für eine große Papierfabrik und hat Mama die ersten Aufträge vermittelt. Hatte eben Beziehungen, der Mann. Deshalb hat sie sich, nachdem er gestorben war, auch nicht getraut, mehr für ihre Arbeit zu verlangen. »Ich muss den Leuten dankbar sein, dass ich für sie zeichnen darf«, sagte sie jedes Mal, wenn ich sie darauf ansprach. Seitdem ich unsere Finanzen übernommen habe, wird sie anständig bezahlt. Fürs nächste Jahr haben wir uns eine Honorarerhöhung von zehn Prozent vorgenommen. Mal schauen, ob wir das hinkriegen. Die Konkurrenz ist groß.
    Obwohl der Unfall schon acht Jahre her ist, will meine Mutter bis heute nicht glauben, dass DD tot ist. Es gibt Wochen, da sitzt sie jeden Tag im Garten vor dem Bild am Kirschbaum und redet mit ihm. Am Ende drückt sie immer einen Kuss auf das Bild. Manchmal bleibt Lippenstift auf dem Plexiglas zurück. Dann sieht das Foto meines Vaters aus, als sei eine blutige Träne draufgefallen.
     
    Aber jetzt will ich endlich von Linda erzählen. Denn eigentlich geht es in meiner Geschichte um sie. Natürlich nicht nur – meine Mutter spielt auch eine Rolle. Und ein paar andere Leute.
    Linda kam am ersten Schultag nach den Sommerferien in unsere Klasse. Wir hatten den üblichen zum Gähnen langweiligen Gottesdienst in der Aula hinter uns, die Stunde hatte schon begonnen. Unser Klassenlehrer überprüfte gerade, ob auch alle heil zurückgekehrt waren – da öffnete sich die Tür und Linda kam herein.
    Sie war genauso klein wie ich. Sie war genauso dünn wie ich. Sie war blond wie ich. Und wie bei mir schien alles an ihr eckig zu sein: die Schultern, die Ellbogen, die Storchenbeine. Trotzdem gefiel mir das Mädchen nicht. Überhaupt nicht. Und das lag nicht daran, dass Linda mindestens zwanzig Kilo Fettgewebe fehlten. Wahrscheinlich war es ihr Gesichtsausdruck. Sie hielt sich für was Besseres, das war ihr deutlich anzusehen.
    »Wo sitze ich?«, fragte sie. Ihre Stimme klang nach einer Mischung aus Sandpapier und Sahnepudding.
    Unserem Klassenlehrer – er gibt bei uns Deutsch, heißt Helmut Metzger und sieht auch so aus – verschlug es für einen Moment die Sprache. Dann räusperte er sich und tippte demonstrativ auf seine antiquarische Armbanduhr, die er wie immer zu Beginn der Stunde vor sich aufs Pult gelegt hatte. »Du bist zu spät«, sagte er und fügte hinzu: »Vielleicht stellst du dich erst einmal vor.«
    »Wieso?«, fragte sie und strich sich ein paar Haare aus der Stirn. »Sie wissen doch, wer ich bin.«
    Herrn Metzgers Gesicht verfärbte sich leicht. »Ich schon, aber deine neuen Mitschüler nicht«, knurrte er.
    Das Mädchen drehte sich zu uns um, holte tief Luft und legte los – in einem Tempo, bei dem jeder andere aus der Kurve geflogen wäre. »Ich heiße Linda Lebert – mein Vater hat hier eine neue Stelle gefunden – und ich finde es total bescheuert, dass wir von zu Hause wegziehen mussten – und ich bin sitzen geblieben und ein Einzelkind und in der Pubertät, sagt mein Vater – und ich mag diese Stadt nicht und die Schule schon gar nicht – und jetzt wisst ihr Bescheid.«
    Wir waren

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