Die Shakespeare-Morde
Prolog
29. Juni 1613
Vom Fluss sah es aus, als würden
zwei Sonnen über London untergehen.
Die eine sank im Westen, ein
Strahlenkranz aus orange, rosa und golden schimmernden Bändern. Doch
es war die andere Sonne, die die unruhige Flotte von Booten, Barken, Kähnen
und Jollen auf die dunkle Themse gelockt hatte: Gegenüber der St.
Paul’s Cathedral mit ihrem eingestürzten Turm loderte eine
grimmig glutrote Scheibe, als hätte sie den Horizont verfehlt und wäre
stattdessen am Südufer der Themse niedergegangen, wo sie zwischen den
Schenken und Bordellen von Southwark böse züngelnde Flammen in
die Nacht schoss.
Freilich war es keine zweite
Sonne, die dort am Ufer glühte, auch wenn die Männer, die sich für
Dichter hielten, die trügerische Kunde von Boot zu Boot trugen. Es
war ein Bauwerk - war eines gewesen. Das berühmteste aller berühmten
Theater Londons - die aus rohen Balken gezimmerte Arena, der runde Sitz
der Träume einer ganzen Stadt -, das große Globe höchstselbst
war es, das dort in Flammen stand. Und ganz London hatte sich auf dem
Fluss versammelt, um seinen Untergang mit anzusehen.
Auch der Graf von Suffolk
hatte sich unter das Volk gemischt. »Da ließ der Herr Feuer
regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra«, murmelte er, als er
vom schwimmenden Palast seiner privaten Barke gen Süden blickte. In
seinem Amt als Oberkammerherr stand er dem königlichen Hofstaat vor,
und das Drama, das vor seinen Augen über die King’s Men
hereinbrach - die Theaterkompanie Ihrer Majestät, der nebenbei
das Globe Theatre gehörte hätte ihn erschüttern sollen.
Oder wenigstens den Glanz seines Vergnügens trüben. Die beiden Männer,
die mit ihm unter der seidenen Markise saßen und im Angesicht der
Katastrophe an ihren Weingläsern nippten, schienen von seiner
Gelassenheit nicht im Geringsten überrascht.
Doch ihr Schweigen war
Suffolk nicht genug. »Ist es nicht herrlich?«, fragte er
herausfordernd.
»Kitschig«,
knurrte sein Onkel, der Graf von Northampton, der trotz seiner weißen
Mähne und dem vorgerückten Alter von über siebzig Jahren
eine elegante, schlanke Figur abgab.
Theophilus Lord Howard de
Waiden, Suffolks Sohn und Erbe - der jüngste der drei Männer
beugte sich vor wie ein gieriger junger Löwe, der seine Beute
beobachtete. »Und am Morgen wird unsere Rache noch heller brennen,
wenn Mr Shakespeare und seine Kompanie erst die Wahrheit erfahren.«
Northampton musterte seinen
Großneffen. »Mr Shakespeare und seine Kompanie, wie du es
ausdrückst, werden nichts dergleichen erfahren.«
Einen Augenblick hielt Theo
dem Blick seines Großonkels regungslos stand. Dann sprang er auf und
schleuderte seinen Kelch auf den Boden der Barke; Wein spritzte auf die
safrangelben Livreen der Diener und sprenkelte sie mit dunklen
Leopardenflecken. »Man hat meine Schwester auf offener Bühne
verspottet«, schrie er, »keine Altmännerverschwörung
wird mir meine Satisfaktion verderben.«
»Mein Lordneffe«,
sagte Northampton über die Schulter zu Suffolk, »anscheinend
leiden all Eure Sprösslinge an diesem misslichen Hang zur
Unbesonnenheit. Keine Ahnung, wo sie das herhaben. Ein Howard’scher
Zug ist es jedenfalls nicht.«
Dann wandte er sich wieder an
Theo, dessen Hand zwanghaft am Griff seines Schwerts zuckte. »Sich
des Schadens seiner Feinde zu rühmen ist die Rache der Einfältigen«,
rügte er. »Ein überaus bäuerlicher Zug.« Auf
sein Nicken reichte ein Diener Theo einen neuen Kelch, der ihn mit wenig
Anmut entgegennahm. »Viel eleganter ist es, dem Gegner das Mitgefühl
auszusprechen und ihn zum Dank zu verpflichten -während dieser einen
Verdacht hegt, den er nicht begründen kann.«
Im gleichen Moment näherte
sich ein Einer und legte seitlich an der Barke an. Ein Mann sprang über
die Reling und glitt auf Northampton zu, das Licht meidend wie ein abtrünniger
Schatten auf dem Weg zurück zu seinem Herrn.
»Wenn sich eine Tat
lohnt, wie unser Seyton wohl weiß«, fuhr Northampton fort,
»dann lohnt es sich, sie perfekt zu vollbringen. Wer es war, spielt
dabei eine geringe Rolle. Wer weiß, wer es war, überhaupt
keine.« Seyton kniete vor dem alten Grafen nieder, der ihm die Hand
auf die Schulter legte. »Mein Lord Suffolk und mein beleidigter Großneffe
sind ebenso gespannt auf Euren Bericht wie ich.«
Der Mann räusperte sich
leise. Seine
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