1516 - Totenlichter
Mit einer müden Bewegung hob Florian den linken Arm. Er konnte im Moment nicht sprechen. Ein Kloß hatte sich in seiner Kehle festgesetzt.
Er hatte Glück, denn Moritz Müller verließ sich in diesen Augenblicken auf seine Lampe. Der armbreite Strahl huschte durch die Dunkelheit, wurde von Büschen und Stämmen aufgehalten, aber dort, wo Florian hockte, war die Umgebung nicht mehr so dicht, und so traf der Strahl die halb angehobene Hand.
»Warte, ich bin gleich bei dir.«
»Ist schon okay.«
Moritz Müller, wegen seines Haarschnitts auch Igel genannt, beeilte sich.
Der Junge wusste, dass etwas passiert war, was für sie sehr bedeutsam werden konnte. Sie waren unterwegs, um etwas Bestimmtes herauszufinden, über das man in letzter Zeit viel sprach. Es hing mit der Kirche zusammen, wie sie gehört hatten, aber beide Jungen wollten nicht, dass die Kirche in den Schmutz gezogen wurde, und so hatten sie sich selbst auf die Suche gemacht, und es war Florian Thamm wohl gelungen, einen Hinweis zu finden.
Erst als Florian direkt von der Lampe getroffen wurde, drehte er den Kopf. »Was ist denn?«
Moritz ließ sich neben ihm nieder. »Warum sitzt du hier?«
»Ich bin gestolpert.«
»Und? Ist das alles?«
»Nein.«
»Was denn noch?«
»Ich habe sie gesehen?«
»Wen und was?«
»Die Lichter.«
Moritz schluckte. Danach stöhnte er auf. »Sprichst du von den Totenlichtern?«
»Ja, nur davon.«
»Und wo sind sie?«
Florian hob müde den rechten Arm und deutete nach vorn. »Geh mal bis zum Hang. Da kannst du sie dann sehen. Ich habe mich erschreckt, weil ich nicht damit gerechnet habe, aber du weißt ja jetzt Bescheid. Sie befinden sich dort, wo der Hang zu Ende ist.«
»Ich schaue mal nach.«
Florian nickte nur. Er und sein Freund Moritz waren nicht nur beide vierzehn Jahre alt, sie gehörten auch zur gleichen Pfadfindergruppe, bei der es hieß: Jeden Tag eine gute Tat.
Ihre gute Tat bestand darin, dass sie versuchten, etwas aufzuklären, das den Menschen in der Umgebung große Sorge bereitete. Vor allen Dingen der Kirche, denn hier geschah etwas Unrechtes in deren Namen, und das konnte nicht hingenommen werden.
Die Polizei jagte einen Mörder, doch die beiden Pfadfinder suchten mehr. Sie wollten den Menschen stellen, der die Kirche so in den Dreck zog.
Es war ein Pakt zwischen ihnen. Sie hatten sich keinem Menschen anvertraut, auch dem Pfarrer nicht, und in dieser Nacht schienen sie endlich Glück zu haben, obwohl sie sich nicht darüber freuen konnten und Moritz seine Skepsis offen zeigte.
»Bist du sicher, Florian?«
»Ja, Igel, ich bin mir sicher.«
»Dann - dann schaue ich mal nach.«
»Tu das.«
Moritz war gewarnt. Er ließ die Lampe an, als er die wenigen Schritte ging. Es war kein Abgrund, von dem sein Freund gesprochen hatte. Man konnte ihn als normalen Hang bezeichnen, der auch nicht besonders lang war und dort endete, wo dos mit Gras bedeckte flache Brachland begann, das sich bis zum nächsten Ort hinzog.
Moritz blieb stehen, als er die Kante erreicht hatte, und schaute nach unten.
Sein Herz klopfte schneller, und er zuckte zusammen.
Unter ihm, wo der Hang zu Ende war, brannten vier helle Lichter.
Er wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Er fing an zu zittern, ohne dass er es wollte. In seinem Kopf rauschte es, denn diese Lichter waren nicht normal. Zumindest nicht, was ihre Bedeutung anging. Er und sein Freund hatten die Ohren offen gehalten, und sie wussten verdammt gut Bescheid. Was dort unten leuchtete, waren die Totenlichter, und sie wiesen auf etwas Bestimmtes hin, das ihm jetzt schon Angst machte.
Moritz drehte sich mit einer heftigen Bewegung um. Die Lampe machte die Drehung mit, und in ihrem zuckenden Schein sah er, dass sich sein Freund erhoben hatte.
»Und?«, fragte Florian.
»Du hast recht. Da brennen sie. Vier Totenlichter.«
»Wusste ich es doch«, flüsterte Florian. »Und was machen wir jetzt?«
»Keine Ahnung.«
»Runtergehen?«
Moritz zuckte zusammen. »Warum?«
»Um zu erfahren, ob es, sich wirklich so verhält, wie wir gehört und gelesen haben.«
»Hast du denn keine Angst?«
Florian senkte den Blick. »Doch, die habe ich.«
»Aber du willst trotzdem gehen?«
Der Junge nickte.
»Dann komm«, sagte Moritz…
***
Es roch nicht nach Weihrauch oder nach irgendwelchen anderen Dingen, die man mit einer Kirche in Verbindung brachte, es war der Duft eines guten Rotweins, der in unsere Nasen stieg und unsere Gaumen streichelte, wenn wir kleine Schlucke
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