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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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Schuppen namens »Rock Garden«, irgendwo im Zentrum. Ich hatte meinen Maurice-Andre-Mantel an, den meine Mutter mir vor drei Wochen zum Konzert dieses großen Trompeters gekauft hatte, ein völliger Mißgriff an diesem Ort, und ich erwartete nur das Schlechteste. Alles was nicht Philipshallengröße hatte, war mir mit meinen vierzehn Jahren damals äußerst verdächtig. Was konnte man schon von einem halbdunklen Kellerschuppen erwarten, der kaum

    Die Brüder John und Campino
    größer war als eine Schachtel Ingwerkekse? Das kann ja nur scheiße werden, dachte ich.
    Irrtum! Die Band im »Rock Garden« waren die Count Bishops. Von dem Moment an, als sie auf die Bühne kamen, war alles ein einziger Tumult. Die Leute sprangen auf und tanzten auf den Tischen; neben mir krachte einer durch den Stuhl und pogte einfach weiter. Alle pogten, alle drehten unglaublich durch - ein Paar ohrfeigte sich wegen einer Halskette gegenseitig durch den Raum. Nur der Junge in dem lächerlichen Maurice-Andre-Mantel rührte sich kein bißchen und fand sich unheimlich cool. Nachher sagte ich zu meinem Bruder: »Hast du gesehen, ich war der einzige im ganzen Laden, der cool geblieben ist.« Und John sagte: »Du warst der einzige richtige Idiot im ganzen Laden!«
    Das war die Zündung. Am nächsten Tag bin ich mit ihm in die Plattenläden gepilgert und habe mir als erstes die EP von den Bishops gekauft, mit »Route 66« und »Teenage Letter« drauf. Wir pilgerten auch zu »Stiff Records« und den anderen einschlägig bekannten Plattenfirmen, sackten Poster, Badges und natürlich Platten ein. Überall wurde man informiert, war willkommen. Ein paar Kids aus Deutschland, die was über Punkrock wissen wollten - das kannten die Briten noch nicht. Die Punkszene war klein, Läden und Treffpunkte winzig. Alles hatte den Charme der Gründerzeit: Irgendwo vorbeizuschauen hieß automatisch, bei irgendwem im Wohnzimmer zu stehen.
    Ein Rezept in der Hand halten, den großen Dreh, wie es ab jetzt besser laufen könnte. Sich artig verabschieden von dieser Welt aus zuviel Weiß. Weiße Arzthelferinnensocken in weißen Gesundheitsschuhen sagen dir: Ja, du hast gesündigt, das ist wahr. Aber wir lieben dich trotzdem; und nun erhebe dich, geh nach Hause und mach es ab jetzt besser!
    Als ich vor der Klinik in Hannover zu Kiki in die Karre steige, muß ich an meine Schwester Judy denken. Judy, die professionelle Tänzerin geworden ist und wegen einer Rük-kengeschichte beinahe aufgegeben hätte. Die Ärzte hatten ihr gesagt, daß sie sich eine Querschnittslähmung einfangen könnte, wenn sie weitermacht. Judy hat trotzdem weitergemacht, und im nachhinein sieht es so aus, als hätte sie die Lähmung damit sogar wirksam bekämpft. Aber etwas für seine Stimmbänder tun, in dem man sie Abend für Abend zwei Stunden und mehr strapaziert?
    Als wir die Tour fortsetzen, reise ich in einer Art Konversations-Quarantäne mit. Statt im Tourbus mit den Jungs und der Crew Sprüche zu klopfen, werde ich von Kiki immer erst kurz vor dem Auftritt zur Halle gefahren. Ich komme um fünf vor neun backstage an und stehe um neun auf der Bühne; etwa um halb elf bringt Kiki mich ins Hotel zurück. Jede Zugabe ist ein genau abzuwägender Kontoüberzug. Ich trinke Milch mit Honig statt Alt, ich gehe früh ins Bett. Es wird die beschissenste Tour meines Lebens, weil alles nur auf Durchkommen ausgerichtet ist. Es ist Rock’n’Roll als Arbeit, ohne all das, was das Unterwegssein mit einer Band zum Erlebnis werden läßt.
    In der Silvesternacht, nach dem Ende der Tour, stehe ich gerade eine halbe Stunde lang fröstelnd auf dem Dach unseres Büros in Lierenfeld und nippe an einem einsamen Gläschen Sekt. Aber die neue Phase hat auch viel Gutes: Die Konturen der Dinge werden wieder klarer, das Verhältnis zu mir selbst ist auf einmal wieder ehrlicher. Wir hatten unsere besten und unsere schlechtesten Konzerte auf Alk, Speed, Koks, auf irgendwas. Aber ist das dann wirklich noch deine Leistung? Jeder Hohlkopf findet sich nach zwölf Gläsern Alt im »Uerige« witzig, jeder saftlose Schnarcher dreht in
    Schampuslaune plötzlich auf. Aber erst, wenn du die gleiche Nummer genauso gut nüchtern bringst, kannst du wirklich was. Erst dann bist du Meister.
    Ich will wieder ein guterjunge sein, mit Milch, Tee, Honig und Joghurt. Ich will mich bei denen, die mir in Hannover geholfen haben, einfach bedanken. Ich schnüre dem großen Stimmbandspezialisten ein Care-Paket mit Hosen-CDs, rufe meinen Vater

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