Bissgeschick um Mitternacht
einfach und eindeutig. Bei Halbvampiren werden am 13. Geburtstag die Weichen für das restliche Leben gestellt. Ihr bisheriges Leben als Zwittergestalt endet. An ihrem 13. Geburtstag entscheidet sich, ob sie Vampire werden oder Menschen.«
»Schlotz zoppo!«, kam es aus dem Telefonhörer, dann hörte Dr. Liviu Chivu einen dumpfen Schlag.
Dr. Chivu nutzte die Gesprächspause, um sich ein weiteres Blutnüsschen mit der Pinzette in den Mund zu stecken. »Herr Tepes?«, fragte er dann.
»Skyzati. Mir ist nur der Telefonhörer aus der Hand gefallen.« Mihai Tepes räusperte sich. »Wollen Sie damit sagen, meine Töchter, mein eigen Fleisch und Blut, meine Silvania und meine Daka, denen ich eigenhändig eine Zwillingssargwiege gezimmert habe, die ich mit Frischblutfläschchen gefüttert habe, deren Milcheckzähne ich stets bei mir trage, denen ich das Fliegen und Flopsen beigebracht habe, könnten Menschen werden?«
»Ich verstehe Ihre Besorgnis. Natürlich ist das furchtbar, wenn sich die eigenen Kinder über Nacht in eine Mahlzeit verwandeln.« Dr. Chivu versuchte sich einen Moment in seinen Gesprächspartner hineinzuversetzen. »Andererseits, Sie sind mit einer Mahlzeit verheiratet. Also sind Sie an der ganzen Situation nicht ganz unschuldig, mein Bester. Wie dem auch sei – vielleicht haben Sie ja Glück und Ihre Töchter verwandeln sich nicht in Menschen, sondern in richtige Vampire. Das weiß man allerdings vorher nie. Ich habe in den Schriften keinen Hinweis darauf gefunden, dass sich das irgendwie beeinflussen lässt.«
»Was haben Sie in den Schriften denn überhaupt noch gefunden?«, schnaufte Herr Tepes, dem die drei Mahlzeiten, die es womöglich bald in seiner Familie gab, auf den Magen geschlagen hatten.
»Es wurde allerdings mehrfach ein Ritual erwähnt. Dessen genaue Einhaltung scheint ungeheuer wichtig zu sein«, erklärte Liviu Chivu. »Am letzten Abend des 13. Lebensjahres muss eine Person des Vertrauens – aber auf keinen Fall die Eltern – die Halbvampire an einem streng geheimen Ort kopfüber aufhängen. Dann muss diese Person die Halbvampire fest in eine Lamadecke einwickeln, bis sie umhüllt sind wie in einem Kokon. Die Person des Vertrauens überlässt die Halbvampire nun alleine ihrem Schicksal. In den folgenden Stunden beginnt die Verpuppung. Am nächsten Morgen, wenn das 13. Lebensjahr vollendet ist, haben sich die Halbvampire zu ihrer endgültigen Gestalt gewandelt. Von da an gehen sie als Menschen durchs Leben oder, wenn sie Glück haben, fliegen als Vampire.«
»Und es gibt wirklich keine Möglichkeit, wie man diesen Prozess beeinflussen oder aufhalten kann?«, fragte Herr Tepes.
»Handeln Sie nicht unüberlegt, mein Bester«, erwiderte Dr. Chivu. »Ich rate Ihnen eindringlich, sich genauestens an das beschriebene Ritual zu halten. Alles andere wäre ein zu großes Risiko. Spielen Sie nicht mit dem Glück und Seelenfrieden Ihrer Töchter! Sonst haben die beiden womöglich ein ganzes Leben lang mit Oberlippenbärten, Einzelbrüsten und anderen ... wie nannten Sie es doch gleich? Ach ja, mit hormonellen Haudegen zu kämpfen. Und das wollen Sie Ihren Töchtern doch nicht antun, oder?«
Post blitz!
I n der Großstadt Bindburg brach ein neuer Morgen an. Obwohl die ersten Sonnenstrahlen gerade erst über den östlichen Horizont krochen, waren die meisten Bewohner der Stadt schon lange wach und auf den Beinen. Elvira Tepes schloss gerade die Ladentür ihres Klobrillengeschäfts auf und drehte das ›Besetzt-Schild‹ um, das in der Tür hing, sodass jetzt ›Frei‹ darauf zu lesen war.
Silvania und Daka Tepes betraten zur gleichen Zeit mit Helene und Ludo einen Unterrichtsraum der Gotthold-Ephraim-Lessing-Schule. Sie setzten sich auf ihre Plätze und blieben dort wie versteinert sitzen. Sie achteten auf jede Regung, jedes Blubbern und jedes Zwicken in ihren Körpern. Alle paar Sekunden musterten sie einander prüfend. Zwar hatten sich seit der vergangenen Nacht weder neue Brüste noch neue Haarbüschel gezeigt, aber die Schwestern waren auf der Hut. Beim kleinsten Anzeichen einer körperlichen Veränderung würden sie sich zur Tür flopsen und sich im Mädchenklo verschanzen. Sollte Ludo eine Brust oder einen Achselhaardschungel voraussehen, würde er sie rechtzeitig warnen.
Herr Tepes setzte soeben in seinem flaschengrünen Dacia den Blinker und reihte sich in den Verkehr auf der Ringeinatzstraße ein, die an der Gotthold-Ephraim-Lessing-Schule vorbeiführte. Er hatte seine Töchter
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