Bitte Zweimal Wolke 7
Tür nur angelehnt, also stoße ich sie mit dem Ellenbogen auf und stelle das Tablett auf den Schreibtisch. Meinen Rucksack kicke ich in die Ecke, schnappe mirmeinen iPod und verziehe mich mit meinen Käsebroten ins Zelt.
Das Zelt war ein Geburtstagsgeschenk von Papa zu meinem 15. Geburtstag und ist mit Abstand das beste Möbelstück in der ganzen Wohnung. Es ist ein richtiges Kuppelzelt für zwei Personen, rot und orange, und wenn man der Bedienungsanleitung glauben darf, ist es absolut arktistauglich. Ich habe es allerdings noch nie draußen ausprobiert. Stattdessen habe ich mein Bett rausgeschmissen und das Zelt mitten im Zimmer aufgebaut. Eine Matratze und ein paar Kuschelkissen machen eine richtig gemütliche Höhle daraus. Innen hängt eine kleine Lichterkette, die ich meiner Mutter aus ihrer Weihnachtsdekokiste geklaut habe, und alle meine Lieblings-CDs, Bücher und meine Gummibärchen bewahre ich auch dort auf. Besonders stolz bin ich auf das Schild, das ich am Zelteingang aufgehängt habe:
Naturschutzgebiet. Betreten verboten!
Jetzt nur noch den Reißverschluss hochziehen und dann ade, du blöde Welt.
Was für ein Tag. Ich hole mein Notebook unter dem Kopfkissen hervor, klappe es auf und starte mein Mailprogramm. Montags kommt immer der Newsletter von den
Green Fighters
. Ich muss unbedingt wissen, wie die Aktion »Rettet die Wale« weitergehen wird. Die
Green Fighters
habe ich in den letzten Sommerferien in Hamburg kennengelernt. Das heißt, eigentlich bin ich über sie gestolpert beziehungsweise über Kim. Papa hatte sich mit mir zum Essen im Schanzenviertelverabredet und ich war mal wieder viel zu spät dran. Als ich völlig hektisch aus der S-Bahn sprang, habe ich blöderweise das Mädchen übersehen, das gerade einsteigen wollte. Sie hatte einen Stapel Papier im Arm, der nach unserem Zusammenstoß im hohen Bogen durch die Luft segelte. Mist. Das war mal wieder typisch für mich. Das Mädchen schimpfte in einer Sprache, die ich nicht kannte, und fing an, die Blätter wieder einzusammeln. Ich half ihr dabei, aber einige der Zettel wehten bereits über die Schienen und wurden von der anfahrenden S-Bahn überrollt.
»Verdammter Mist!« Diesmal fluchte das Mädchen mit den schwarzen Haaren auf Deutsch. »Und dafür habe ich jetzt den ganzen Tag rumgestanden!«
»Es tut mir leid!« Ich war ziemlich zerknirscht. »War das was Wichtiges?«
Das Mädchen hockte auf dem Bahnsteig und schob die verbliebenen Zettel wieder zusammen.
»Unterschriftenlisten. Mindestens 300 Unterschriften sind jetzt futsch.«
Unterschriftenlisten? Und deswegen regte die sich so auf?
»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich, nur um irgendetwas zu sagen.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Neue sammeln, bis zum Stichtag sind es noch zehn Tage. Hier.« Sie drückte mir einen Packen Zettel in die Hand und kritzelte auf den obersten schnell etwas drauf, bevor sie in die S-Bahn stieg, die gerade eingefahren war. Völlig verdattert schaute ich ihrhinterher. Wie dreist war die denn? Am liebsten hätte ich die Blätter im nächsten Abfalleimer versenkt, aber mein schlechtes Gewissen war stärker und so stopfte ich sie mir in den Rucksack. Erst abends im Bett fielen sie mir wieder ein, und ich wurde neugierig, um was es bei der Unterschriftensammlung überhaupt ging. Mithilfe der auf den Zettel gekritzelten Website fand ich heraus, dass die Unterschriftenaktion gegen den Walfang gestartet worden war und dass eine Umweltschutzgruppe mit dem Namen
Green Fighters
hinter der Kampagne stand. Ich fand ein Foto von dem Mädchen, das ich umgerannt hatte. Sie war zusammen mit dem süßesten blonden Jungen, den ich je gesehen hatte, verantwortlich für die Unterschriftensammlung. Kim zieht mich heute noch damit auf, dass ich mich der Gruppe nur wegen Stefan angeschlossen hätte. Aber das stimmt nicht. Die Aktion gefiel mir und ich wollte unbedingt dazugehören. Ich versuche seither, die
Green Fighters
auch von zu Hause aus zu unterstützen, aber ich beneide Kim um ihre wöchentlichen Gruppentreffen und um die Strandpartys, die sie in Hamburg regelmäßig veranstalten.
Fünf neue Mails
, verkündet mein Programm. Der Newsletter ist noch nicht dabei. Dafür finde ich zwischen der Mitteilung, dass ich die glückliche Gewinnerin einer Bierzapfanlage bin, und dem Angebot einer kostengünstigen Penisvergrößerung eine Mail von Kim. Ich beiße in mein Käsebrot und öffne sie.
Hallo, Süße,
gab’s Ärger? Ich habe noch mal versucht, dich zu
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