Bitteres Geheimnis
Zimmer. Mary packte Hut, Handtasche und Handschuhe, schlüpfte in ihre hochhackigen Schuhe mit dem Pfennigabsatz und rannte ihrer Mutter hinterher.
Ted McFarland und die zwölfjährige Amy saßen schon im Wagen, als Mary und ihre Mutter aus dem Haus kamen.
»Mary würde lieber eine Todsünde auf sich nehmen, als mit einem Pickel zur Kirche gehen«, sagte Lucille, als sie in den großen Lincoln stiegen.
»Ach, Mutter!«
Ted McFarland, der den Wagen die steile Auffahrt hinunterlenkte, lächelte und zwinkerte seiner ältesten Tochter im Rückspiegel zu. Mary lachte.
In der Kirche, die mit Lilienbuketts und flackernden Kerzen geschmückt war, empfing sie ernste Stille, als sie eintraten. Im gebrochenen Licht der Sonne, das durch die bunten Fenster strömte, tauchten sie die Finger ins Weihwasser, knicksten mit dem Blick auf das große Kruzifix am anderen Ende der Kirche und begaben sich an ihre Plätze, wo sie niederknieten.
Während der Rosenkranz aus Perlmutt durch ihre Finger lief, bemühte Mary Ann McFarland sich nach Kräften um stille Andächtigkeit, aber sie fand sie nicht. Verstohlen hob sie den Blick und musterte die Leute in den Bänken. Mike war noch nicht gekommen.
Sie ließ ihre Augen wandern, bis sie schließlich zu Sebastian gelangten, drüben auf der anderen Seite des Schiffs, gleich bei der ersten Kreuzwegstation. Unfähig, den Blick von ihm zu wenden, starrte sie ihn an, von neuem gefesselt von diesem kraftvollen Körper, der sie in ihrem Traum so erregt hatte.
Das Gemälde des Heiligen, eine Kopie von Mantegnas »Sebastian«, das im Louvre hing, berührte einen beinahe peinlich in seiner Lebensechtheit. Das Blut war zu realistisch, die von Pfeilen durchbohrten Muskelschwellungen, der Schweiß auf der Stirn, die Qual in dem aufwärts gerichteten Gesicht - das alles war mit fotografischer Genauigkeit festgehalten. Mary hatte während manch langweiliger Predigt dieses Gemälde betrachtet, aber niemals war ihr bei ihren regelmäßigen Besuchen der katholischen Sebastianskirche auch nur der Hauch eines unzüchtigen Gedankens in Zusammenhang mit dem Heiligen gekommen. Jetzt aber, eben wegen ihres bestürzenden Traums, konnte Mary die Erotik des Gemäldes nicht mehr übersehen. Von den sehnigen Schenkeln ging etwas aus, das ihr nie zuvor aufgefallen war; das um die Lenden geschlungene Tuch schien ihr etwas Herausforderndes zu haben, genauso wie der im Schmerz gewundene Leib.
Sie erinnerte sich der heißen Gefühle, die sie im Traum über flutet hatten, an den herrlichen Moment der Ekstase, und fragte sich, ob so etwas ihr je wieder geschehen würde. Und sie dachte daran, daß sie nun vielleicht nicht mehr würdig war, die heilige Kommunion zu empfangen.
Als Pater Crispin und die Ministranten aus der Sakristei kamen, stand die Gemeinde auf. Mary faltete die Hände um ihren Rosenkranz und bat Gott, ihr den Traum zu vergeben und sie zu reinigen, damit sie reinen Gewissens zur heiligen Kommunion gehen könne.
Der würzige Duft des Dillhühnchens mischte sich mit dem scharfen Aroma des Chilisoufflés. Lucille McFarland besuchte mit ihrer Freundin Shirley Thomas jeden Samstagmorgen einen Kurs für feine Kochkunst am Pierce College und ließ sonntags ihre Lieben in den Genuß ihrer neuerworbenen Künste kommen. Auch der Ostersonntag bildete da keine Ausnahme. Lucille und ihre beiden Töchter hatten den ganzen Nachmittag an die Vorbereitungen des Festmahls verwendet. Amy hatte Käse gerieben, bis ihr die Finger weh taten; Mary hatte Eier getrennt, die Auflaufform eingefettet und frischen Dill gehackt. Nun standen Schüsseln auf dem Tisch, jedes Gericht eine Überraschung, und die Familie setzte sich zum Essen.
»Igitt!« Amy, die Zwölfjährige, schnitt ein Gesicht. »Ich hasse Hühnchen total!«
»Halt den Mund und iß!« sagte Ted. »Davon wirst du groß und stark.«
Amy baumelte so heftig mit den Beinen, daß ihr ganzer Körper wippte. »Stellt euch mal vor! Schwester Agatha ist Vegetarierin. Sie kauft ihr ganzes Essen in einem Naturkostladen.«
Ted lächelte. »Da braucht sie sich wenigstens nie Gedanken zu machen, was sie freitags kochen soll. Komm, iß jetzt.«
Amy stocherte auf ihrem Teller herum, pikte ein Stück Chili auf und schob es in den Mund. »He, Mary«, sagte sie, »kennst du schon den neuesten Aufziehpuppen-Witz?«
Mary seufzte. »Nein, was für einen?«
»Es gibt eine neue Präsident-Kennedy-Puppe. Wenn man die aufzieht, rennt der Bruder fünfzig Meilen.« Amy warf den Kopf
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