Bizarre Beziehungen - V 1.0
fast...
»Eine gute Frage, Wesen Clive.« Chang Guafe nickte, und die künstlichen Sensoren reflektierten das Weiß. Wenngleich die Sonne durch die Wolken nicht klar erkennbar war, stand sie doch als schimmernder heller Fleck nicht weit über dem Horizont. »Wir erführen, daß das Dungeon neun Ebenen umfaßt, und wir sind durch acht davon gefahren. Daraus folgt offenbar, daß wir die neunte und abschließende Ebene erreicht haben. Ist sie dann also eine weiße Wildnis? Das ist offensichtlich ein unpassender Anti-Höhepunkt unseres langen Abenteuers!«
»Aber wenn das hier nicht die neunte Ebene ...« Clives Handbewegung umfaßte die ganze Umgebung. »Wenn das hier nicht die neunte Ebene des Dungeon ist«, fuhr er fort, »was ist's dann? Wo mögen wir sein? Warum wurden wir hierhergebracht, und was können wir damit anfangen?«
Ihn durchlief ein heftiges Schaudern und erinnerte ihn zum erstenmal daran, wie kalt ihm war. Er hauchte in die Hände, um sie zu erwärmen, holte erneut Luft und stieß sie aus. Die Luft dampfte wie Rauch. Er trug lediglich die Kleidung, die er auf der achten Ebene des Dungeon getragen hatte -kaum eine angemessene Ausstattung für die gegenwärtige eisige Umgebung.
Welche Schande, wenn er hier, der Kälte ausgesetzt, allein stürbe! Wenn er hier stürbe, der Kälte ausgesetzt, nachdem er alle Gefahren des Dungeon überstanden hatte, die Kämpfe mit Männern und Ungeheuern und einmal sogar mit den Dämonen der Hölle ...
Aber eine Idee traf ihn wie ein Schlag. »Chang, du besitzt doch Sinnesorgane, weit feiner als die der Menschen. Glaubst du ...«
»... daß es irgendwo«, setzte Chang Guafe Clives Gedanken fort, »vielleicht sogar in der Nähe, etwas anderes in dieser Welt gibt als konturloses Weiß?«
»Genau! Vielleicht irgend etwas, das von dem Glanz verborgen wird.«
»Bleib stehen, Wesen Clive! Ich werde sehen, was ich tun kann.«
»Hast du irgendeine deiner Fähigkeiten zurückerhalten, womit du dich verändern kannst?«
Chang Guafe stieß ein entsetzliches Knirschen aus. Der Teil des Fremdwesens, den Clive für den Mund hielt, verbog sich zu einer Form, die Clive für ein Lächeln hielt. »Du sahst die Hölle selbst, Wesen Clive, und du weißt etwas von den Qualen der Verdammten. Verglichen mit dem Schmerz, mit dem ich mich erholte, mein Freund, sind die Qualen der Verdammten so vergnüglich wie ein Betriebsausflug. Aber ja, Wesen Clive, ich habe den Bann gebrochen, der über mir lag. Und ich werde mich für jede Zuckung des Schmerzes rächen, die mich das kostete! Aber jetzt -sieh her, mein Freund!«
Vor Clives Augen unterzog sich Chang Guafe einer erstaunlichen Verwandlung. Er spreizte die mechanischen Gliedmaßen wie eine riesige Spinne -und stellte sich so aufs Eis. Wie ein Sehrohr reckte Chang Guafe den Hals immer höher, bis er doppelt so hoch wie ein Mann aufragte, und dann noch etwas mehr.
Seltsame Apparate traten aus Chang Guafes Kopf heraus, fedrige Filamente wie die Fühler eines afrikanischen Nachtfalters und glitzernde vielfacettige Sehapparate wie die erstaunlichen Augen einer Fliege oder Honigbiene. Langsam drehte Chang Guafe den Kopf in einer Weise, wie es jedem gewöhnlichen Lebewesen unmöglich gewesen wäre, jedoch mühelos und natürlich aussah bei diesem Wesen, das mehr Maschine als Organismus war.
Schließlich hatte Chang Guafe die Drehung vollendet und blieb stehen. Der Teleskophals zog sich zusammen, bis sich die seltsame Anordnung von Organen und Apparaten -Chang Guafes >Gesicht< -fast wieder in Augenhöhe mit Clive Folliot befand.
»Du hattest recht, Wesen Clive.« Chang Guafe nickte feierlich. »Unter unseren Füßen erstreckt sich das Eis weit hinab, bis es schließlich auf Wasser trifft, das etwas wärmer ist als das Eis. Aber da drüben«, -er hob eine der Gliedmaßen und benutzte die klauengleichen Auswüchse, als zeige er mit einem Finger —, »erhebt sich das Eis so hoch wie ein Bungalow. Es ist, als ob ein Eisberg in diesem Eisfluß gefangen sei. Und in diesem Eisberg ...«
»Ist was?« Clive konnte seine Neugier nicht bezähmen.
»Kann ich nicht in allen Einzelheiten sagen, aber meine Sensoren deuten auf eine Unregelmäßigkeit in der Dichte hin.«
Clive war enttäuscht. »Eine Unregelmäßigkeit in der Dichte, Chang Guafe. Und was hat das zu bedeuten?« Clive legte die Finger in die Achselhöhlen und versuchte so zu verhindern, daß ihm die Fingerspitzen erfroren. Er stampfte mit den Füßen, um sie vor dem Erfrieren zu bewahren.
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