Blacklist - Blacklist - Blacklist
die Finger an dem dünnen Porzellan wie beim ersten Besuch. Der Raum wirkte größer und heller. Zuerst wusste ich nicht genau, was sich verändert hatte, und dachte, es läge am Frühlingslicht. Doch als Geraldine hinter mir hergehumpelt kam und sich in ihrem Sessel niederließ, wurde mir klar, dass sie das Porträt ihrer Mutter entfernt hatte. An dieser Stelle hing jetzt das kleine Bild von dem Gebirge.
Sie bemerkte meinen Blick und lächelte zufrieden. »Als ich Renee mit Kylies Maske niederschlug, empfand ich eine Befriedigung, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte, nicht einmal in Calvins Armen. Jedenfalls nicht mit Armand und den vielen anderen.«
Sie hielt inne, dann fügte sie hinzu: »Ich habe Calvin geliebt, wissen Sie. Ich war mir seiner Schwächen bewusst, aber ich liebte ihn dennoch. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich Renee verzeihen könnte, wie sie ihn mir weggenommen und sich mir gegenüber aufgespielt hat, wie sie ihn auf einen Sockel gestellt und noch seine Schwächen vergöttert hat. Aber als ich ihr die Maske auf den Kopf schlug, empfand ich eine erstaunliche Erleichterung. Ich bin einundneunzig; ich habe nicht die Kraft, Himmel und Erde in Bewegung zu versetzen, aber ich bin froh, für den Rest meines Lebens eine befreitere Seele zu haben. Ich habe beschlossen, dass Sie Recht hatten: Ich habe es nicht nötig, mich von Mutters Abbild an all die Demütigungen der Vergangenheit erinnern zu lassen.«
Ich blieb eine Stunde bei Geraldine und sprach mit ihr über den Mordfall, ihr Leben, Darraughs Leben. Sie hatte sich in dieser Woche entschlossen, ihm zu sagen, dass Calvin vermutlich sein Vater war. Daraus ließ sich wohl auch erklären, weshalb Darraugh Catherine zu sich eingeladen hatte - aus der verblüffenden Einsicht, dass sie seine Nichte war. Wie fühlte man sich wohl mit Edwards als Bruder?, fragte ich mich.
»Darraugh war natürlich sehr verstört«, berichtete Geraldine. »Er liebte MacKenzie. Ich sagte, das spiele doch keine Rolle, es sei völlig richtig von ihm, MacKenzie als seinen Vater in Erinnerung zu behalten: MacKenzie war es, der an Darraughs Bett saß, als er die Windpocken hatte. MacKenzie, nicht das Kindermädchen und gewiss nicht ich, hat ihm das Gesicht abgewischt, damit er sich nicht zerkratzte. MacKenzie hat ihm vorgelesen und ihn auf sein erstes Pony gesetzt. MacKenzie hat all das getan, was ein Vater tut. Und noch einiges, was eine Mutter getan hätte, die nicht so sehr damit beschäftigt war, dem Grauen ihres Heims zu entkommen.«
»Darraugh sollte das seinem Sohn sagen, seinem eigenen MacKenzie«, äußerte ich. »Sie leben hier so ein abgeschlossenes Leben - es wäre nicht gut, wenn MacKenzie sich in Catherine Bayard verliebte.«
Sie blickte mich kurz mit ihrer alten Überheblichkeit an, dann entspannte sie sich und sagte, sie wolle es ihm mitteilen. »Was ist mit Renee? Ist sie noch nicht verhaftet worden?«
Ich verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht, ob es jemals dazu kommt. Die Beweise sind da, aber sie sind nicht zwingend. Ihre Fingerabdrücke auf Theresa Jakes' Phenobarb-Flasche - Renee könnte sie in die Hand genommen haben, um die Medikamente ihres Mannes zu prüfen. Und bei den anderen - das Taxi, in das sie in Marc Whitbys Straße eingestiegen ist, der Angestellte im Golfclub, der sagt, er habe sie mit einem Golfwagen davonfahren sehen - da behauptet sie steif und fest, die Leute würden sich irren. Die Polizei überstürzt nichts, wenn jemand aus New Solway verhaftet werden soll.«
Sie hörte die Bitterkeit in meiner Stimme. »Denken Sie nicht nur so über uns, Victoria. Wir tun auch Gutes. Ohne uns gäbe es kein Geld für Konzerthäuser und Theater.«
Ich strich mir müde durchs Haar. »Ich glaube nicht, dass es eine Waagschale für Gut und Böse gibt, dass soundsoviel Gutes die entsprechende Menge Böses aufwiegt. Es ist nur, ach, wissen Sie, vor ein paar Jahren gab es da dieses erfolgreiche Buch, wenn guten Menschen Schlechtes widerfährt, oder wie war das gleich? Das ist Augenwischerei, damit sollen nur wir Normalsterbliche davon abgehalten werden, uns gegen die Ungerechtigkeit der Welt zu wehren. Keiner schreibt je über all das Gute, dass bösen Menschen zuteil wird, und darüber wie die Reichen und Mächtigen irgendetwas anrichten und ungeschoren davonkommen und Leute wie ich, mein Nachbar, meine Eltern für die Folgen zahlen.
Ich habe das satt. Ich habe mich eine Woche lang um ein verstörtes reiches Mädchen gekümmert. Ich mag Catherine,
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