Alraunes Todeskuß
Man konnte Elliot Quinn um alles beneiden, nur nicht um seinen Job.
Aber einer mußte ja auf die frischen Leichen achtgeben, wenn sie aus den Sterbezimmern in den kalten Kellerraum zur Aufbewahrung geschoben wurden. Einer mußte sie registrieren, die Zahlen auf die kleinen Schilder malen und sie den Toten anhängen.
Das tat Elliot Quinn, und er ging dieser Arbeit schon seit über zwanzig Jahren nach. Er war ein Typ, der mit den Leichen auf du und du stand.
Hin und wieder hatte er den Toten sogar eigene Namen gegeben, die fielen ihm spontan ein, wenn er dem Aussehen nach ging. Später war er dann enttäuscht, wenn seine Namen mit den richtigen nicht übereinstimmten.
Quinn war verheiratet. Seine Frau putzte im Krankenhaus, und von seinem Job wollte sie nichts wissen. Ab und zu, wenn Elliot sauer war, ärgerte er seine bessere Hälfte, indem er von seiner Arbeit berichtete.
Dann hielt sich seine Frau stets die Ohren zu. Hinzu kam, daß Quinn immer etwas übertrieb.
Für diesen Job waren mehrere Kollegen vorgesehen, sie wechselten sich in zwei Schichten ab. Der eine fing am Morgen an, der zweite am Nachmittag.
Elliot hatte seine Arbeit mal beschrieben. Er fühlte sich als der Wächter im Reich der Toten. Er gab auf die Leichen acht, er hütete sie und sorgte dafür, daß kein Fremder an sie herankam. Sie waren seine Kinder, mit denen er alles machen konnte.
In der Woche vor seinem Geburtstag hatte er Spätschicht. Er freute sich immer auf den Festtag, denn zwei seiner alten Kumpel aus Schulzeiten besuchten ihn dann, und es wurde richtig gebechert. Sein Geburtstag gehörte zu den Höhepunkten des Jahres, und er wußte auch, daß sich sein Weib wieder aufregen würde, aber das war ihm egal. Hauptsache, seine Kumpel kamen.
An diesem Abend, als er seine Leichen bewachte, dachte er natürlich an den großen Tag. Er hockte in seinem kleinen Büro, hatte den Fernseher eingeschaltet, den Ton aber abgedreht, weil der ihn zu sehr bei seinen Gedanken gestört hätte. Die drehten sich um viele Dinge, denn er wollte seinen Kumpeln etwas bieten. Schließlich wurde man nur einmal sechzig.
Quinn, dessen Gesichtsfarbe sich der seiner Toten irgendwie angepaßt hatte, verzog die Lippen, als ihm etwas einfiel. Ja, das war ein Hammer, das war sogar super! Sie würden den großen Tag nicht bei ihm im Haus feiern, sondern rausgehen und richtig auf den Busch klopfen. Sie wollten die Puppen tanzen lassen.
Die kleinen Augen strahlten, als er daran dachte. Es gab da eine Bar in Chelsea, von der andere berichtet hatten. Sie lag ziemlich versteckt, war gar nicht so offiziell. In einem alten Haus aus der viktorianischen Zeit war sie untergebracht worden, und man konnte sie nur durch einen Hintereingang betreten.
Das war genau richtig.
Und er wußte auch, daß dort die Post abgehen würde. Die Mädels waren heißer als heiß, sie zogen eine Nummer ab, bei der man nicht nur feuchte Augen bekam, und die halfen selbst älteren Männern wieder auf das Fahrrad.
Den Namen der Bar wußte Elliot nicht, aber ein Kumpel von ihm kannte sie. Der war schon einmal dagewesen und würde mit seinem Tip bestimmt nicht hinter dem Berg halten.
Seiner Frau würde er erzählen, daß sie in einen Pub gingen. Ja, so mußte und würde es laufen.
Er reckte sich, streckte die Beine vor und spürte die alten Knochen nicht mehr. Schon der Gedanke an die Bar machte ihn wieder munter, und er schielte durch die kleine Scheibe in den kahlen Hur hinein, durch den die Leichen gefahren wurden. »Tut mir leid«, sagte er, »aber ihr bekommt das nicht mehr zu sehen.« Er grinste wieder und rieb seine Hände, was raschelnde Geräusche hinterließ.
Dann schaute er sich im Licht der Schreibtischleuchte die Liste an. Er ging die Namen der Toten durch, die in der Leichenkammer lagen. Bei dem letzten stolperte er und runzelte die Stirn.
Der Knabe hieß Pietro Anzaro. Er war vor drei Stunden eingeliefert worden und überraschend gestorben. Sein Herz hatte plötzlich ausgesetzt. Trotz intensiver Wiederbelebungsversuche war es den Ärzten nicht gelungen, den Mann wieder ins Leben zurückzuholen.
Dabei war er erst dreißig Jahre alt, viel zu früh, um dem Knochenmann die Hand zu schütteln.
Quinn hob die Schultern. So war das Leben. Den einen traf es zu früh, den anderen später, und die größten Schweinehunde lebten am längsten, das wußte er auch inzwischen.
Schlimm war es für ihn, wenn Kinder starben. Dann wurde selbst er weich und hätte manchmal heulen können, wenn
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