Blaufeuer
Spange«, sagt er.
»Also bis vor kurzem«, entgegnet Janne, und er verzieht das Gesicht.
»Das ist es also. Du findest, ich bin zu jung für dich.«
Janne lächelt und schweigt. Soll er doch glauben, ihre Zurückhaltungsei dem Altersunterschied zwischen ihnen geschuldet. Anfang oder Ende zwanzig - dazwischen liegen tatsächlich Welten. Allerdings kommt er ihr deutlich älter vor wegen seiner Verbindlichkeit, die sie so schreckt. So wie er war sie nie, auch nicht vor acht Jahren. Sie lässt es lieber entspannt angehen.
»Es war schön heute«, sagt sie munter und rückt ihren Stuhl aus dem Halbschatten. Sie will die Sonne genießen, solange es geht, bald ist der Sommer vorüber. Seit dem Frühstück im Cafe Adlon sind sie durch Berlin gezogen, vorbei an bröckelnden Mauern mit Einschusslöchern vom Häuserkampf, aufpolierten Baudenkmälern und postmodernen Glasfassaden, errichtet auf Minenfeldern - sie hatten nur Zeit für das Pflichtprogramm, aber das hat Janne nicht gestört. Sie verehrt die Hauptstadt mit ihrem weltstädtischen Glamour und all ihren Narben. An den Hackeschen Höfen hat er gesagt, er fühle sich nach so kurzer Zeit bereits heimisch, und Janne antwortete, sie sehe sich auch nach vier Jahren noch als Touristin. Sogleich hat er versucht, sie von dieser Ansicht abzubringen, weil er nicht ahnen konnte, dass das Gefühl von Fremdheit für sie mit dem höchst angenehmen Umstand verbunden ist, ihr Leben als eine Art Dauerurlaub zu betrachten, unterbrochen nur durch die nicht allzu anstrengenden Pflichten einer Orchestermusikerin. Er ist Gastsolist an der Deutschen Philharmonie, ein ehrgeiziger junger Geiger, dessen ehrgeizige Eltern schon bei der Taufe alles richtig gemacht haben: Zacharias Brügge - so ein Name perlt im Mund wie Champagner und schmückt jedes Konzertplakat. Janne neidet ihm seinen Erfolg nicht. Sie fühlt sich wohl bei den zweiten Geigen, denn ein Aufstieg zur Solistin passt nicht in ihr Konzept von der Leichtigkeit des Seins. Sie will nicht schuften, sondern leben. Sie übt nicht gern. Und sie hält sich lieber im Hintergrund.
»Hast du eigentlich ein Problem mit meinem Status im Orchester?«, fragt er, als wäre er ihren Überlegungen gefolgt.
»Was für ein Problem sollte das sein?«, entgegnet sie amüsiert über die Verlegenheit, die sich auf seinem hübschen Eliteschülergesicht abzeichnet. Die feste Spange war eine gute Investition.
»Na ja, ich habe gehört, als Mädchen hast du viel beachtete Solokonzerte gegeben und wurdest als Riesentalent gehandelt -aber auf einmal war Schluss damit. Keiner weiß warum.« Er mustert sie interessiert und mitleidig zugleich. Auf seiner Unterlippe kleben Kuchenkrümel, die Janne mit einem Kuss beseitigt. Zacharias errötet.
»Gerüchte«, sagt sie.
Wenig später verabschiedet sie sich mit einem knappen Gruß. Zacharias steht zackig von seinem Stuhl auf und winkt ihr nach, als stünde er am Bahngleis und sie führe mit dem Zug davon. Mit einem Lachen winkt sie zurück.
Auf dem Heimweg kauft Janne eine Flasche Rioja, französischen Käse und spanische Oliven beim Biohöker in ihrer Straße. Im Vorbeigehen betrachtet sie sich in den Schaufenstern entlang des Wegs: eine sehr schmale, sehr blonde Frau mit glattem, schulterlangem Haar, sommersprossig, hochgewachsen, gut angezogen - das luftige Kleid in hellen, kühlen Blautönen stammt von einer jungen isländischen Designerin, die hier in Berlin eine Boutique betreibt. Janne ist einverstanden mit ihrem Spiegelbild, und sie empfindet sich als privilegiert: Die Patrizierherkunft -oder der »gute Stall«, wie ihr Vater es nennt - ist ihr ebenso deutlich anzusehen wie dem Solisten, und Janne hat sogar besonderes Glück, denn sie muss sich nicht wie andere höhere Töchter abmühen, um entzückend und teuer auszusehen, sogar das helle Blond ist echt. Diese Kombination aus Geld und Liebreiz hat ihr schon viele Türen geöffnet, die andere erst eintreten müssen. Natürlich weiß Janne um die Ungerechtigkeit dieses Umstands, der sie manchmal wütend macht, aber im Alltag ist sie froh, mit derrichtigen Pigmentierung auf der richtigen Seite der Gesellschaft geboren worden zu sein. Reine Glückssache. Natürlich schickt es sich nicht, dies offen zuzugeben.
Wie jeden Abend freut sie sich auf ihre Wohnung in dem sanierten Gründerzeitbau in Prenzlauer Berg: Luxus von heute, Eleganz von einst, so lässt es sich aushalten. Jannes Ansprüche sind hoch, wie sie es seit Kindertagen gewohnt ist. Aber sie
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