Blaulicht
getrunken. Haben mich lang warten lassen. Ich will jetzt eine rauchen.«
»Was heißt ›lang warten lassen‹? Also gab es eine Verabredung?«
Schweigen.
»Du weißt ganz genau, dass dir die Geschichte zwei bis drei Jahre einbringen kann. Vielleicht sogar mehr – immerhin geht es hier nicht mehr ausschließlich um Drogen. Wir haben mittlerweile vier Todesopfer. Aber wenn du uns entgegenkommst, kommen wir dir auch entgegen, ist doch klar. Also noch mal: Wie sahen die Männer aus, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag bei dir in der Halle waren, welche Sprache wurde gesprochen, was für Autos haben sie benutzt?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Natürlich. Die sind ja auch vorher noch nie bei dir gewesen. Du hast sie vor fünf Tagen zum allerersten Mal im Leben gesehen.«
»Ja.«
»Glaubst du im Ernst, dass ich dir das abkaufe?«
*
Zeugenbefragung ist eine Spezialdisziplin, die jedem Ermittler ein enormes Maß an Flexibilität abverlangt. Es gibt zwar Schulungen und sogar ganze Bücher darüber, es gibt Tipps und Tricks von Kollegen mit einer langen Diensterfahrung – sowieso spielt Erfahrung eine ganz wichtige Rolle – aber sagen wir mal so: Jeder Mensch, den du befragst, ist anders als jeder, den du bereits befragt hast. Jeder hat eine andere Geschichte, ein anderes Umfeld, eine andere Konstitution, von Temperament, Intelligenz und Ausdrucksfähigkeit einmal ganz zu schweigen, und die Geschichte vom guten und vom bösen Bullen ist zwar fester Bestandteil jeder zweiten amerikanischen Krimiserie, letztlich aber nichts anderes als ein sehr, sehr grobes Gerüst, zwei Säulen, die nur in den seltensten Fällen als solche zu erkennen sind, normalerweise aber hinter einem dichten Geflecht aus Fühlen, Vortasten, Raten, Pokern und sehr guter Menschenkenntnis bestehen.
Wo man einem russlanddeutschen Gebrauchtwagenhändler, der im Nebenerwerb Drogen vertickt, mit Drohungen kommen kann und muss, ist dies bei einem verängstigten Teenager völlig fehl am Platz. Manchmal kommt man da nur mit Entspannung der Situation weiter, mit einer belanglosen Frage nach einer Teenie-Popband wie Tokio Hotel vielleicht, und gelegentlich erhält man eine außerordentlich irritierende Antwort.
»Die sind wie die Fliesen in unserer Küche«, hatte Leonie nur geantwortet, »falsch und laut.« Daraufhin war sie auf dem Stuhl vor Zoes Schreibtisch noch weiter in sich zusammengesackt und hatte begonnen, an ihren Nägeln zu knabbern. Das hätte Kalz mit seinen Methoden auch erreichen können, dachte Zoe ärgerlich über dieses Fettnäpfchen, in das sie unwillentlich getappt war. Spontan hatte sie dann beschlossen, mit dem Mädchen in ein Café zu gehen, raus aus dem Präsidium, das in seiner nüchternen Sachlichkeit alles andere als eine entspannende Ausstrahlung besitzt – schon gar nicht auf ein Mädchen, dessen große Schwester ihren Lehrer niedergestochen hat. Beim Beck gegenüber dem Weißen Turm war die Kleine dann bei einer Eisschokolade tatsächlich etwas aufgetaut. Vor allem hatte sie Zoe von ihrer Angst erzählt. Jedes Mal, wenn die große Schwester über Nacht fortgeblieben war, hatte sie Höllenqualen gelitten, weil sie Angst hatte, Sandra würde nicht wiederkommen. Hatte auch von den meist tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ihrer Schwester und den Eltern erzählt – mein Stiefvater ist sehr … ist sehr … streng, wissen Sie . Sie hatte ihr auch von jenem Wochenende berichtet, jenem Freitag vor drei Jahren, an dem sie Sandra zum letzten Mal gesehen hatte, bevor diese verschwand.
»Haben sich deine Eltern denn keine Sorgen gemacht, damals?« wollte Zoe wissen, aber Leonie hatte nur mit den Schultern gezuckt und gemeint, sie wären gar nicht da gewesen, mal wieder auf einer Messe irgendwo in Russland.
»Und was hast du getan, als Sandra nicht gekommen ist, du hast dir doch bestimmt Sorgen gemacht?«
»Was hätte ich denn machen können?« Leonie hatte die Frage fast geschrien, und die Leute an den Nebentischen im Café Beck hatten irritiert zu ihnen herübergeschaut. Dann listete sie all die vergeblichen Versuche auf, die Schwester zu erreichen. Obwohl Sandras Handy ausgeschaltet war, hatte sie an jenem Wochenende unzählige Male auf die Mailbox gesprochen und SMS verschickt. Sie hatte versucht, Rizzo, den Freund ihrer Schwester, zu erreichen, aber auch bei ihm schaltete sich nur die Mailbox ein. Endlich hatte sie Sandras Freundin Heike erwischt, aber die konnte ihr auch nicht sagen,
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