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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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Leonie, was hast du gesagt? Ich hab dich nicht verstanden.«
    »Sandra war zuletzt in Pilsen.«
     
    *
     
    Kalz hatte so gut wie nichts aus seinem Zeugen herausbekommen. Der wand sich wie ein Aal an der Angel, nur nicht so hektisch, im Gegenteil, er schien in eine mentale Klebrigkeit getaucht zu sein. Namen kannte er nicht, an Gesichter konnte er sich nicht erinnern. Kalz hatte nicht aufgehört zu bohren, hatte verschiedene Ansätze ausprobiert, dem Typen schließlich sogar erlaubt, eine seiner stinkenden Zigaretten anzuzünden – vergebens. Als er es irgendwann leid war, sich immer wieder im Kreis zu drehen, war er mehr als angefressen zurück ins K1 gefahren. Dass er mehr als angefressen war, versteht sich von selbst. Wenigstens war die Griechin schon weg, Gott sei Dank, auf diese Weise bekam dieser verplemperte Nachmittag doch noch einen positiven Aspekt. Beinah bekommt Kalz einen Lachanfall, als er sich vorstellt, wie wohl diese Kalidingsda mit ihrer »Das Leben ist ein Streichelzoo«-Attitüde so einen Typen wie den Staufert verhören würde. Nichts gegen Frauen bei der Polizei, Büroarbeit gibt es schließlich mehr als genug, aber wenn die Weiber schon meinen, draußen mitmischen zu müssen, und dann auch noch bei der Mordkommission, müssen sie aus anderem Holz geschnitzt sein. Diese griechische Psychotante ist in dem Job eindeutig fehl am Platz. Noch wäre sie jung genug, um sich anderweitig zu orientieren – ob sie dazu klug genug ist, bezweifelt er.
    Immerhin, als Kalz sich über das Protokoll macht, das Zoe von der Vernehmung der kleinen Kovács angefertigt hat, entdeckt er, dass dieser Tag noch eine hübsche Überraschung für ihn bereithält, und die erinnert an eine Biermarke. Pilsner Urquell ist allerdings nicht das, was Martin Kalz als positive Überraschung bezeichnen würde, es ist etwas anderes, was bei ihm die Glocken zum Läuten bringt: Laut Aussage ihrer Schwester hatte sich Sandra Kovács zuletzt in Pilsen aufgehalten. Genau dort, wo sowohl die tschechische wie auch die Nürnberger Drogenfahndung die Quelle für das verdammte Giftzeug vermutet, das tödlich ist.
     
    *
     
    Eigentlich wollte Zoe ein Parfüm für ihre Tante kaufen, hatte dann aber vor der Parfümerie den Ständer mit heruntergesetzten Badeschuhen und Sandaletten entdeckt und war unwillkürlich davor stehengeblieben. Es muss etwas genetisch Bedingtes sein, das Frauen immer und überall zu Schuhen lockt, sie an keinem Geschäft, keinem noch so spärlichen Angebot an Fußbekleidung vorbeigehen lässt, ohne wenigstens einen intensiven Blick darauf zu werfen. Das Verhältnis zwischen Frauen und Schuhen stellt das zwischen Motten und Glühbirnen locker in den Schatten und hat schon Legionen von Freunden, Geliebten, Brüdern und Ehemännern in den Wahnsinn getrieben. Frau sieht Schuhgeschäft, Frau rennt hin – so ist das eben. Wie gesagt, wahrscheinlich liegt es an den Genen.
    Drei Minuten und dreihundert Schritte nach dem Einkauf sandte ihr die Welt ein Bild in Gestalt zweier Mädchen und ihrer Mutter. Hätte Zoe nicht – ausnahmsweise! – den Weg durch den U-Bahnhof Plärrer genommen, um sich die fußgängerabweisenden Ampelphasen in der Oberwelt zu ersparen, so hätte das Bild sie verfehlt und hätte sich einen anderen Empfänger suchen müssen. Doch jetzt kommt ihr das Trio entgegen, und eines der zwei Mädchen, elf oder zwölf Jahre alt mag sie sein, sitzt mit leicht verrenkten Gliedmaßen im Rollstuhl, ihr Kopf will immer wieder haltlos zur Seite fallen, und sie streckt den Arm aus, deutet direkt auf Zoe und gibt einen Schwall lallender Laute von sich, währenddessen ihre, wie es aussieht, nur um ein weniges jüngere, vielleicht sogar gleichaltrige Schwester fröhlich auf die Mutter einplaudert, die den Rollstuhl schiebt. Zoe bleibt stehen und hat das Gefühl, sich irgendwo anlehnen zu müssen – käme ihr nur in jenem Augenblick nicht jede Wand der Welt dünn vor wie aus Papier im Angesicht der zwei hübschen Mädchen mit kastanienbraunem Haar, die von derselben Mutter stammen, einander zum Verwechseln ähnlich sehen, vermutlich sogar Zwillingsschwestern sind und doch durch eine Distanz voneinander getrennt, die sich weder in zeitlichen noch räumlichen Dimensionen erfassen lässt. Vielleicht, denkt Zoe, ging es damals, bei der Geburt, nur um eine kurze Zeitspanne, um wenige Minuten, in der das eine der Mädchen einen Sauerstoffmangel erlitt, das andere nicht, und seitdem lebt jede in ihrer eigenen Welt, unerreichbar

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