Blaulicht
Sprengstoff und Drogen. Martin war bei mir im Fall von der Droge PepZero.«
»Ich weiß. Aber in genau diesem Fall gibt es Komplikationen, und die Auskunft über Fälle von Strangulation bei Prostituierten wäre sehr wichtig für uns. Wir können das Ganze auch noch einschränken, wenn wir uns bei der Suche nur auf Vorfälle konzentrieren, bei denen Instrumentensaiten eine Rolle gespielt haben.«
Zoe weiß, dass sie pokert, dass sie eigentlich nichts in der Hand hat außer einer vagen Vermutung. Sie weiß auch, dass die tschechische Kollegin am anderen Ende der Leitung alles andere als verpflichtet ist, ihr bei einer vagen Vermutung zu helfen, schon deshalb nicht, weil diese Recherche überhaupt nicht in ihr Aufgabengebiet fällt. Sie kennt die Simaková nicht einmal persönlich, sie hat nichts, nichts, nichts. Sie ist – eine Idiotin! Wie war sie nur auf diese dumme, diese vollkommen hirnrissige Idee gekommen?
Offenbar hat Ivana Simaková Zoes Gedanken durch die Telefondrähte hindurch mitgelesen und vielleicht erinnert sie sich an die Zeit, in der sie selbst eine Dummheit nach der anderen gemacht hat, vielleicht auch daran, dass gelegentlich nur Dummheit weiterhilft.
»Gut«, sagt sie deshalb mit ihrer tiefen, singenden Stimme. »Ich denke, ich kann helfen. Habe einen Freund bei Europol und einen anderen hier. Um welches Gebiet geht es genau? Wo suchen wir Strangulationen mit Instrumentensaiten?«
»Eigentlich im ganzen Gebiet entlang der tschechisch-bayerischen Grenze.«
»Und in welche Zeit?«
»Zwischen Frühjahr 2004 und jetzt.«
»Sie geben eine Menge Hausaufgabe, Zoj. Kann ich Sie zurückrufen? Sind Sie noch im Dienst heute Nachmittag? Geben Sie mir in jedem Fall Ihre Nummer, am besten auch Handy!«
Als Zoe den Hörer auflegt, hört es sich an, als wäre er so schwer wie der Stein, der ihr gerade vom Herzen gefallen ist. Dann fällt ihr Blick auf die Plastiktüte, die erst am Fahrradlenker baumelte und die sie dann durch den Marktkauf geschleppt hatte. Obendrauf lagen bis vor Kurzem ihre frugalen Wochenendeinkäufe, die sie provisorisch im Kühlschrank in der Teeküche geparkt hat, darunter, in Heften, Fotoalben und Tagebüchern versteckt, Erinnerungen an ein Leben, das Sandra Kovács einmal gelebt hatte, bevor es auf einem überhitzten Dachboden in der Heimerichstraße gelandet war.
Als Kalz durch die Tür kommt und sich grußlos an seinen Schreibtisch setzt, betrachtet sie gerade ein Foto von ›Sandra mit ihrem neuen Cello‹. Hinter dem glücklich strahlenden Mädchen mit langem, blondem Haar steht ein schlanker Mann in dunklem Anzug – wie der Schatten eines Raubvogels verdunkelt er die helle Szene im Vordergrund. Sein Gesicht ist nicht zu erkennen, jemand hat es mit einem Kugelschreiber übermalt, jemand, der sehr wütend gewesen sein muss, denn die Hochglanzbeschichtung ist dort, wo einmal ein Gesicht war, vollkommen zerfetzt. Aber Zoe weiß, dass es Wolfgang Gerlach ist, der hinter Sandra steht wie ein drohender Schatten.
»Was machen Sie denn da?«
Kalz betont die Frage so doppeldeutig, dass Zoe nicht gleich weiß, was sie antworten soll. Will er wissen, was sie gerade tut oder weshalb sie überhaupt anwesend ist? Ganz kurz spürt sie so etwas wie Prüfungsangst in sich hochsteigen – fühlt sich sowieso wegen des Telefonats mit der Simaková auf merkwürdige Weise ertappt. Was soll das? Warum lässt sie sich von ihrem Partner, und jawohl, das ist er schließlich! so leicht den Schneid abkaufen? Sicher, auf gut Glück im Pilsener Drogendezernat anzurufen und inoffiziell um Amtshilfe zu bitten, ist etwas unkonventionell, aber vielleicht auch eine Chance und ganz gewiss kein Grund, sich selbst ein schlechtes Gewissen einzureden.
»Ich sichte Material von Sandra Kovács, das wir heute Morgen bei ihren Eltern mitgenommen haben«, antwortet sie deshalb betont ruhig. Kalz schaut sie mit steinerner Miene an, er hat Ringe unter den Augen, auch sein Anzug sitzt heute nicht so akkurat wie üblich.
»Und was versprechen Sie sich davon?«
Ja, was verspricht sie sich eigentlich davon, in alten Fotoalben und Notizheften zu blättern? Sie weiß selbst nicht, wonach genau sie sucht. Ein Hinweis, eine Botschaft, die Lösung eines Rätsels zwischen den zwei rotschwarzen Deckeln einer Chinakladde? Letzteres wohl kaum.
»Ich weiß es nicht«, sagt sie wahrheitsgemäß und für einen kleinen Moment meint sie den Anflug eines echten Lächelns um den schmalen Mund von Martin Kalz huschen zu sehen. Sein
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