Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
schmerzte an meinen nackten Beinen. Als ich die Fußmatte wegschob, glänzte ein kleiner bronzefarbener Schlüssel im Licht meiner Stablampe.
Ein Ersatzschlüssel.
»So was gibt’s nur in einer Kleinstadt«, flüsterte ich und schnappte ihn mir.
Ich schloss die Tür auf und ging hinein.
Eine rote Stehlampe mit lauter Scheinwerfern stand mitten im Raum. Einer der Scheinwerfer warf kaltes Licht auf mich – als hätte meine Mutter gewusst, dass ich kommen würde, und mir das Licht angelassen.
Abgesehen von den roten Chrysanthemen in einer durchsichtigen Vase über dem falschen Kamin und einem roten Kissen, das den Sessel neben der Stehlampe zierte, war das gesamte Wohnzimmer ausschließlich in blau und weiß eingerichtet.
Modern, derselbe Stil, den Poppa gemocht hatte –
Immer noch mag, sagte er.
– weshalb ich mich sofort heimisch fühlte.
Mir ging es gleich viel besser.
Ich steckte den Ersatzschlüssel in die Tasche meines Kleides und ging in einen kleinen Flur. Meine Blockabsätze klapperten rhythmisch auf dem hellen Holzboden. Ich lauschte an jeder der drei Türen, die von dem Flur abgingen, bis sich hinter der dritten ein langsames, tiefes Atmen in meinen Kopf stahl.
Das Atmen meiner Mutter. Beruhigend und sanft, als wäre die Luft, die aus ihren Lungen stieg, reiner als die anderer Leute.
Ich presste weiter meinen Kopf gegen die Tür und versuchte, meinen Atem dem ihren anzupassen, bis mein Ohr wehtat.
Nachdenklich sah ich die Tür an. Dann tastete ich nach dem Messingknauf.
Nein, hab ich gesagt. Poppa blieb hart. Du musst sie aus dem Bett locken.
»Und ich weiß auch schon wie«, flüsterte ich. Die Idee war mir gerade erst gekommen.
Ich stahl mich in die Küche und machte neben der Schwingtür das Licht an. Wie das Wohnzimmer war auch die Küche in blau und weiß gehalten. Ein einzelner, lippenstiftroter Esszimmerstuhl war neben meinem violetten Kleid der einzige Farbtupfer.
Ich ließ meine violette Tasche neben den roten Stuhl fallen und sah mich um. Nachdem ich herausgefunden hatte, wo sie Teller, Toast und den selbst gemachten Käse aufbewahrte, entschied ich mich für einen Käsetoast. Ich gab mir keine besondere Mühe, leise zu sein. Ich wollte , dass sie kam. Ich hatte über hundert Meilen in drei verschiedenen Schrottkarren und einem Sattelschlepper voller Bier zurückgelegt, um endlich in ihrer Nähe zu sein. Aber erst, als ich das Essen auf die Teller legte, schob sie sich durch die Küchentür.
Meine Oma Annikki hatte mir mal erzählt, dass jeder, der Gott ins Gesicht sieht, auf der Stelle tot umfallen würde. Als ich nun zum ersten Mal in meinem Leben meine Mutter ansah, fragte ich mich, ob es daran lag, dass Gott so schön war.
Ich hatte dieselbe Sanduhrfigur, dieselbe dunkle Haut, dieselben kleinen, dünnen Löckchen. Aber meine Locken hatten ein launisches Braun, während ihre schwarz wie Schatten waren.
Inselmädchen-Haar, flüsterte Poppa voller Bewunderung.
Ich riss meinen Blick los und hielt ihr den Toast hin, als brächte ich ihr ein Opfer. »Möchtest du?«
Sie kam in ihrem roten Nachthemd und mit nackten Füßen auf mich zu. Es war, als biege sie die Luft auseinander. Ihre von Natur aus rosigen Lippen waren sehr ausdrucksstark. Und wirkten gemein. Genau wie meine. Sie bogen sich an den Mundwinkeln nach unten und ließen uns wie verzogene Kinder aussehen.
»Du bist in mein Haus eingebrochen, um dir was zu essen zu machen«, sagte sie und ließ die Worte in der Luft hängen. Ihr texanischer Akzent zog jede Silbe wie warmes Karamell in die Länge. »Das träum ich hoffentlich nur, Mädchen.«
»Du träumst nicht, Rosalee. Ich bin hier. Ich bin deine Tochter.«
Ihre Hände klammerten sich über dem Herzen an ihr Nachthemd. Sonst bewegte sie sich nicht.
»Meine Tochter ist in Finnland«, sagte sie ungläubig.
»Nicht mehr. Schon seit Jahren nicht mehr. Ich bin jetzt hier.« Ich wollte sie berühren, umarmen – jeder Kontakt hätte mich umgehauen –, aber sie wich vor meinen suchenden Händen zurück. Ihr gemeiner Mund zuckte, als sie meinen Namen sagte. »Hanna?«
»Ja.«
»Oh Gott.« Da schien sie mich endlich zu erkennen, und ihr Blick wurde etwas weicher. »Du hast sogar seine Augen.«
»Ich weiß.« Ich staunte über unsere Gemeinsamkeiten. »Das war’s dann aber auch schon.«
Rosalee wandte ihren Blick von mir ab und zog an ihrem Haar, als wollte sie es sich ausreißen. »Wieso hat er dich einfach hierherkommen lassen? Alleine. Mitten in der Nacht. Ist
Weitere Kostenlose Bücher