Bleiernes Schweigen
Staatsanwälte in Italien davon überzeugt, dass die Cosa Nostra den blutigen Terroranschlag in höherem Auftrag durchgeführt hatte. Das bestätigte mir im Oktober 2009 auch Massimo Ciancimino, Sohn des ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, Vito Ciancimino, und Kronzeuge der Staatsanwaltschaft in Palermo. »Sie wollen nicht zugeben, dass es einen Vertrag zwischen der Mafia und dem Staat gegeben hat. Die Wahrheit ist, dass es eine Vereinbarung zwischen der Regierung in Rom und der Cosa Nostra gegeben hat und Borsellino deshalb ermordet wurde. Es ist auch wahr, dass der Sprengstoff aus Deutschland kam, und zwar über Kalabrien nach Sizilien. Ich kann darüber nicht weiter sprechen, weil es sich um laufende Ermittlungen handelt.« 3
Bis heute bestehen zwei Ebenen innerhalb der Cosa Nostra.
Die eine Ebene, die öffentliche, zeichnet sich dadurch aus, dass bis zum heutigen Tag über achtzig Prozent aller Geschäftsleute Schutzgeld an die Cosa Nostra zahlen. Die Spanne der vierteljährlich kassierten Summen reicht von 500 Euro (kleine Einzelhandelsgeschäfte) bis hin zu 5000 Euro und mehr, die von größeren Unternehmen eingefordert werden.Ganz dem modernen Geschäftsgebaren entsprechend sollen dabei auch Ratenzahlungen möglich sein. Italienische Behörden schätzen den jährlichen Ertrag allein für die Cosa Nostra auf sieben Milliarden Euro. Und es gibt mittlerweile nahezu überhaupt keine gesetzeswidrige Tätigkeit mehr – von der Förderung der Prostitution bis hin zur illegalen Einwanderung, vom Waffenhandel bis zur ungesetzlichen Abfallbeseitigung, von der Finanz- und Industriespionage bis zur Daten- und Computerpiraterie –, die nicht von der Cosa Nostra bedient wird.
Inzwischen ist die Cosa Nostra so zu einem Teil der legalen Wirtschaft Italiens geworden. Und der BND, wie häufig Jahre hinter der Wirklichkeit hinterherhinkend, meldete im Jahr 2006, dass »nach unbestätigten Informationen die Cosa Nostra auch Anstrengungen unternommen habe, um große und landesweit bzw. international ausgerichtete Unternehmen zu unterwandern«. Tatsache ist, dass seit der Globalisierung und dem Vormarsch der neoliberalen Marktideologie die Cosa Nostra international aktiv war und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in diversen Handels- und Industriebereichen sowie ein Global Player im internationalen Finanzmarkt geworden ist. Hinzu kommt, dass ihre legalen Geschäftsinteressen (nach dem Prozess der Geldwäsche) auch mit kriminellen Mitteln durchgesetzt werden. Konkurrenten werden aus dem Markt verdrängt, erschossen oder aufgekauft. Die italienische Mafia ist demnach ein international vernetzter Konzern, der zunehmend die legale Wirtschaft infiltriert.
Neben den Staaten Westeuropas ist gerade Osteuropa zu den bevorzugten Regionen ihrer Investitionen geworden. So war der Unternehmer Rocco A., Strohmann von Giuseppe Madonia, dem inhaftierten Boss von Gela (an der Südküste Siziliens), in Rumänien im Transportwesen, im Wohnungsbau und im Import/Export landwirtschaftlicher Maschinen aktiv. Als weiterer Geldwäscher der Cosa Nostra diente der sogenannte Kaufhauskönig Sebastiano S., verbunden mit deritalienweit bekannten Kette Despar. Über seine Unternehmen hat er Drogen- und Erpressungsgelder der Cosa-Nostra-Familien Laudani und Sciuto-Ferone-Castorina gewaschen und Teile der Gelder ins Ausland transferiert.
Nicht weniger wichtig ist daher die zweite Ebene der Cosa Nostra, die Verbindungen zu Verwaltung, Politik und Justiz. Hier existiert seit den neunziger Jahren ein ausgeprägtes Beziehungsgeflecht. Es stellt sicher, dass lediglich die der Cosa Nostra zugehörigen oder mit ihr assoziierten Teilnehmer aus Verwaltung, Politik und Justiz davon profitieren. Seit 1945 wurden insgesamt 17 Minister und 22 Staatssekretäre sowie zahlreiche weitere Mitglieder höchster Kreise von Politik, Justiz und Polizei der Kooperation mit der Cosa Nostra bezichtigt. Diese »Maulwürfe« oder Helfershelfer sind für die Cosa Nostra von enormer Bedeutung. Denn das System der Unterwanderung der Wirtschaft funktioniert nur, wenn auch Teile der Exekutive involviert sind.
Wer in Italien als Polizeibeamter, Staatsanwalt oder Richter den politisch Mächtigen und der Mafia heutzutage zu nahe kommt und deshalb ihre ökonomischen und politischen Interessen gefährdet, der lebt auf jeden Fall gefährlich oder er wird, bürokratisch korrekt, auf ein totes Gleis gesetzt. Giulio De Magistris, ehemaliger Staatsanwalt und heutiger Bürgermeister Neapels, hat
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