711 N. Chr. - Muslime in Europa
|9| + + + Entscheidung am Guadalete – Islam erreicht Europa + + +
Die Meerenge ist voller weißer Segel. An diesem Frühlingstag des Jahres 711 entscheidet sich das Schicksal der Iberischen Halbinsel. Araber und Berber, die Krieger Allahs, landen bei Gibraltar. Stadt um Stadt fällt in ihre Hände. Erst zwanzig Jahre später gelingt es dem fränkischen Hausmeier Karl Martell, den weiteren Vormarsch der Muslime nach Westen bei Tours und Poitiers zu stoppen. Über dem größten Teil Spaniens und Portugals weht für die nächsten Jahrhunderte das schwarze Banner des Propheten.
|10| +++ Der Morgen brach an. Wie eine rote Feuerscheibe stieg die Sonne an diesem Tag im Juli 711 am Rio Guadalete empor. In wenigen Stunden würde sie die Ebene in einen Glutofen verwandeln. Der Westgotenkönig Roderich erwachte. Sein Schlaf war tief und traumlos gewesen wie der seiner Krieger, die er in einem Gewaltmarsch hierher in den Süden Spaniens geführt hatte, um sich den Invasoren zu stellen. Er wusste, wie erschöpft seine Männer vom vorangegangenen Kampf gegen die aufständischen Basken waren. Aber er hatte keine Wahl. Das große Heer von Berbern und Arabern, das wenige Wochen zuvor bei Gibraltar an Land gegangen war, war nicht auf einen kurzen Beutezug aus. Die Krieger Allahs wollten sein Land wie schon so viele zuvor im Namen des Islams unterwerfen. Wenn er sie nicht aufhalten konnte, würde auch sein Reich der gewaltigen islamischen Welt einverleibt werden. Der Islam hatte das Abendland erreicht. Wo würden die Eroberungen enden, wenn er auf dem Schlachtfeld unterlag? Roderich erhob sich von seinem unbequemen Lager. Dann sprach er ein kurzes Morgengebet. Kaum hatte er mit dem »Amen« geschlossen, als einer der Kundschafter auf seinem Pferd ins Lager preschte. »Sie kommen«, keuchte er erschöpft. »Sie ziehen zum Fluss. Es sind Tausende.« Eilig befahl der König seinem Heer, sich marschfertig zu machen. Die entscheidende Schlacht stand bevor.
Auf der anderen Seite des Guadalete hatte der berberische Feldheer Tariq ibn Ziyad eine ruhige Nacht verbracht. Er brannte darauf, endlich der westgotischen Streitmacht gegenüberzutreten. Heute nun war der Tag gekommen. Allah würde ihm und seinen Kämpfern den Sieg schenken, denn es war sein Wille, dass sein Name an allen Orten der Erde angerufen werde. Tariqs Späher hatten das westgotische Lager gleich entdeckt. Es war ihnen nicht entgangen, dass das christliche Heer zahlenmäßig unterlegen war. Nachdem er die Meldung erhalten hatte, befahl der Feldherr seinen Männern, sich zu sammeln und in Richtung Rio Guadalete in Bewegung zu setzen. Am Flussufer wollte er den Feind erwarten.
Kaum hatten die Muslime ihr Ziel erreicht, sahen sie in der Ferne die Waffen und Rüstungen der Westgoten in der Sonne blitzen. Wenig später konnten sie in die Gesichter ihrer Gegner blicken. Dann erkannte Tariq den westgotischen König in den Reihen der Streitmacht. Er ritt seinem Heer voran. »Allahu akbar!«. Tariq gab das Zeichen zum Kampf. Der Ruf hallte aus den Kehlen der muslimischen Krieger wider. Mit wilder Entschlossenheit stürmten die Muslime gegen die Westgoten an. Ein erbitterter Kampf entbrannte. Auf beiden Seiten scheuten Pferde und warfen ihre Reiter ab. Einige gerieten unter die Hufe und wurden zermalmt, andere kämpften stehend mit Schwert und |11| Schild weiter. Wieder andere wurden von einer Lanze durchbohrt. Die Schlacht dauerte viele Stunden an. Als die Hitze unerträglich geworden war, ohne dass sich eine Entscheidung abzeichnete, entschlossen sich die Heerführer zum Rückzug. Als der Abend hereinbrach, war das Schlachtfeld blutgetränkt. Dieser erste Waffengang hatte Roderich wie auch Tariq vor Augen geführt, dass es keinen schnellen Sieg geben würde. Die Westgoten, obwohl in der Minderzahl, kämpften mit dem Mut der Verzweiflung.
In der Dämmerung sprachen die Muslime ihr Morgengebet. Bis hinüber ins westgotische Lager war es zu hören. Kurz darauf stießen die Krieger abermals aufeinander. So ging es über sechs weitere Tage. Das Wasser des Guadalete mischte sich mit dem Blut der Gefallenen. Tariq war bewusst, dass die Westgoten den Kampf niemals verloren geben würden, solange ihr König lebte. Doch bislang war es dem Feldherrn nicht gelungen, nahe genug an Roderich heranzukommen. Und dann, am achten Tag, sah sich Tariq plötzlich Roderich gegenüber. Er sah die Entschlossenheit in den Augen des Westgoten, der verwundet inmitten getöteter Feinde stand. Zugleich
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