Bleiernes Schweigen
italienischen Politik. Im Schatten des alten politischen Systems hat er es zum größten Medienunternehmer Italiens gebracht. Den Ursprung seines Erfolges umgibt ein seltsamer Nebel aus Off-Shore-Finanzgesellschaften und anonymen Holdings. Über seine rechte Hand, Marcello Dell’Utri hält sich hartnäckig das Gerücht, er sei mit der Mafia verbandelt. Doch den Italienern ist das egal. Er ist ihr neuer Mann. Sie wählen ihn, und er gewinnt. Bei seinem Eintritt in die Politik unterstehen seine Unternehmen dem Insolvenzverwalter, doch wundersamerweise kommen die Geschäfte wieder ins Rollen.
Berlusconi ist Regierungschef, die Bomben enden. Die Mafia verschwindet.
Es wird keine Bomben, keine Attentate, kein Aufsehen mehr geben. Bernardo Provenzanos Mafia schweigt. Die Menschen sollen vergessen, dass es sie gibt.
Es ist bewiesen, dass der italienische Staat zwischen 1992 und 1993 Kontakt zur Cosa Nostra aufgenommen hat. Prozesse werden geführt, Anklagen gegen Carabinieri-Offiziere erhoben. Diese behaupten, sie hätten versucht, die großen Flüchtigen Riina und Provenzano aufzuspüren und an Informationen zu gelangen.
Diese bis heute nicht aufgeklärten Kontakte zwischen Staat und Mafia nennt man in Italien »Die Verhandlung«.
Von der Verhandlung und dem, was davor und danach geschah, erzählt dieses Buch. Es erzählt von der Ermordung Paolo Borsellinos und von den Gründen, die zu seiner Isolierung und zu seinem Tod geführt haben. Es erzählt vom Italien jener Jahre und vom Italien unserer Tage. Von den allzu engen Banden zwischen Politik, Mafia, Finanzmarkt und Macht.
Es erzählt eine Geschichte, die derart romanhaft klingt, dass sie wahr sein könnte.
Für F.
Meine Zuflucht und mein Leben
Und für Beatrice
Dass sie stets lächeln möge
PF
Für P.
Der mir neue Wege gewiesen hat
Für Oliviero
Damit er weiß, wo er geboren wurde
FP
Da heißt es immer: Dieser oder jener Politiker hatte etwas mit einem Mafioso zu tun, dieser oder jener Politiker wurde beschuldigt, mit mafiösen Organisationen gemeinsame Sache zu machen, doch da er nicht rechtskräftig verurteilt ist, ist er ein ehrlicher Mann. Diese Argumentation gilt nicht, kann doch die Justiz lediglich ein richterliches Urteil fällen und sagen, es gibt zwar einen Verdacht, sogar einen schweren Verdacht, aber uns fehlt die rechtliche, die richterliche Sicherheit, die es erlaubt, diesen Mann als Mafioso zu bezeichnen (…) Allein der Verdacht sollte die Parteien dazu bewegen, in ihren Reihen zumindest gründlich aufzuräumen und sich nicht nur ehrlich zu geben, sondern ehrlich zu sein, indem sie sich von all jenen trennen, die in irgendeiner Weise mit verdächtigen Machenschaften in Zusammenhang gebracht werden, selbst wenn sie keine Straftaten darstellen.
Paolo Borsellino, Bassano del Grappa , 26. Januar 1989
Es braucht Lügen. Der Staat muss lügen. Es gibt keine Lüge im Krieg oder in der Kriegsvorbereitung, die sich nicht verteidigen ließe.
Don DeLillo, Der Omega-Punkt
Alles begann mit einem Anruf.
Bis heute weiß ich nicht, wer mich angerufen hat. Es war nur eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Sie hatte kein Gesicht, keinen Blick, keinen Körper.
Bei den wenigen Worten, die ich mit ihr gewechselt habe – Worte, die mein ganzes Leben verändern sollten –, sah ich schmale, nervöse Hände und flattrige Gesten vor mir, die das Gesagte begleiten, unterstreichen, ihm Nachdruck verleihen. Ich habe nie erfahren, ob meine Vermutung stimmte.
Über manches lässt einen das Leben im Dunkeln.
Nur eines habe ich herausbekommen. Ihr Blick ging nach vorn, und das ohne Furcht.
Es ärgert mich, das zuzugeben, aber diese Definition stammt nicht von mir, sondern von meiner Tochter, die eher impulsiv und gefühlsbetont ist und über besagte Stimme noch weniger weiß als ich. Sie hat weder diese nervösen Hände noch die von ihr so treffend beschriebenen Augen vor sich gesehen.
Ich bin in einem Haus voller Frauen aufgewachsen, und der Weg, der mich bis hierher und zu diesen Worten geführt hat, ist ebenfalls drei Frauen geschuldet. Meiner Frau, meiner Tochter. Und der Stimme dieses Anrufes.
Ihretwegen habe ich meine Entscheidung getroffen, und als mir klargeworden ist, dass es für mich kein Zurück mehr gibt, als ich begriffen habe, was zu tun ist, war ich stolz auf mich wie nie zuvor in meinem Leben.
Ich werde eine Geschichte erzählen. Teils habe ich sie erlebt, teils rekonstruiert. Ich
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