Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
»Süß, du redest, als ob du Romane schreiben würdest!«
Ehe ich antworten konnte, erschien Dick auf der Bildfläche. Er war nur mit einer Unterhose bekleidet und begann, einige Kniebeugen zu machen, sich zu recken und mit den Fäusten gegen seinen mächtigen Brustkorb zu trommeln. Er erinnerte wirklich an seinen alten Orang Utan.
»Wieso ist der Kaffee noch nicht fertig?« brummte er. »Und wieso bist du noch nicht im Laden? Er ist seit einer halben Stunde offiziell offen.«
Ines ging auf ihn zu, öffnete ihren Bademantel ganz und drückte sich an seinen Bauch. »Mein Süßer, es kommt doch sowieso keiner in deinen Laden. Jedenfalls nicht so früh am Morgen. Ich geh gleich nach dem Frühstück. Jetzt sei ein süßer Schatz und setz dich hin.«
Sie verstand, ihn zu nehmen. Dick wirkte selig wie ein beschenktes Kind. »Ist sie nicht toll?« sagte er zu mir. »Sie ist verdammt schlau und auch noch sexy.« Mir blieb nichts anderes übrig, als steif zu nicken.
Ines rauchte, während sie eine Schinkenstulle aß. Dann verschwand sie im Schlafzimmer und kam nach kürzester Zeit tadellos geschminkt und mit einem schlauchähnlichen Kleid aus glänzend rotem Veloursamt wieder zum Vorschein. Sie warf uns Kußhände zu und verschwand auf hohen Stöckelschuhen mit Pfennigabsätzen und vermummt in den Kaninchenfellmantel, ein Lied trällernd, aus der Haustür.
»Sie ist ein Schatz«, sagte Dick. »Sie hat keine Ahnung von Literatur, aber sie ist ein Verkaufsgenie, genauso wie meine Frau. Sie hat mehr Bücher verkauft als ich. Ohne sie wäre ich noch früher pleite gegangen.«
»Du liebst sie immer noch?«
Dick nickte, als ob er eine Schuld eingestehen würde.
»Und du bist pleite!«
»Das kann man wohl sagen. Sie haben mir das Telefon gesperrt. Jetzt kann ich nicht mal die Vertreter anrufen.«
»Und warum verkaufst du nicht?«
»Wer will den Laden schon. Wir haben hier einen Schreibwarenhändler, der auch so eine Art Bücher verkauft, synthetischen Mist, für den die Leute hier noch Geld ausgeben. Das reicht völlig für ihren Lesebedarf.«
»Warum versuchst du es nicht woanders?«
»Die Schulden, Piet. Und Ines. Ich habe Verantwortung übernommen, Piet. Ich hasse Verantwortung, aber sie ist zweifellos ein seelisches Grundnahrungsmittel. Verstehst du?«
Er sah mich herausfordernd an.
»Du wirst meine Lage schon noch begreifen. Aber laß uns erst mal eine kleine Ortsbesichtigung machen. Damit du das richtige Feeling für meine Situation bekommst.«
Die Autoscheiben waren vereist. Dick kratzte sich ein Bullauge frei und startete den Motor mit großer Mühe. Wir krochen sehr langsam die drei Kilometer in den Ort, die Straße war glatt von gefrorenem Nebel. »Ist Ines das alles zu Fuß gelaufen?« fragte ich. »Mit diesen Schuhen?«
»Sie ist flink wie ein Wiesel. Und sie hat keinen Führerschein. Ich habe sie aus einer Jugendstrafanstalt herausgeholt. Kleine Diebstähle, Prostitution, nichts Besonderes. Ihre Mutter war Nutte. Sie hat’ne Menge mitbekommen von den Freiern. Du merkst es, wenn du mit ihr schläfst. Es ist nicht einfach. Du mußt den Zünder ganz vorsichtig rausdrehen, sonst geht sie hoch und zerreißt dich. Verstehst du, was ich meine?«
Ich nickte vorsichtig, denn ich verstand kein Wort.
Dick fuhr auf den Parkplatz am Fluß. Der Schlamm war gefroren. Er stellte den Motor ab, aber er stieg nicht aus. Eine Weile saßen wir stumm nebeneinander, während die Kondenswölkchen unseres Atems die Innenscheiben bereiften. Dicks Lippen zuckten, und in seinen Augen lag eine Trostlosigkeit, die keine pauschalen, aufmunternden Äußerungen meinerseits zuließ.
»Piet«, sagte er schließlich. »Ich bin am Ende. Es war ein Fehler, dich um Hilfe zu bitten. Trotzdem nett von dir, daß du gekommen bist. Aber jetzt weiß ich nicht recht, was ich mit dir anfangen soll. Ich glaube, es ist besser für uns beide, wenn du wieder fährst. Hier. Für deine Auslagen.«
Er holte ein paar zerknüllte Scheine aus der Jackentasche. »Mehr hab ich leider nicht.« Ich nahm seine Faust, in der er das Geld hielt, und streichelte sie. »Ich will nichts, Dick. Du kannst mir einen ausgeben, wenn wir zurück sind.«
Ich merkte zu spät, wie pathetisch meine Bescheidenheit wirkte, wie herablassend geradezu. Er drehte mir das Gesicht zu. Tränen rollten über seine Wangen und verschwanden in seinem Bart.
Männertränen können schön sein, weil sie zu den selteneren Perlen gehören, wenn sie echt sind. So wie Dick weinte, berührte
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