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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George D Shuman
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zum Gipfel unterwegs waren, hatten einen Großteil ihrer Ausrüstung und Lebensmittelvorräte weiter unten zurückgelassen, damit sie bei dem zweitägigen Aufstieg zum Gipfel nicht zu schwer zu tragen hatten. Und das bedeutete, dass die Situation für sie ein Wettlauf mit der Zeit war. Selbst wenn es ihnen gelang, das Hochlager zu erreichen, würden sie dort nur wenig Lebensmittel und Brennstoff vorfinden – gewiss nicht genug, um fünf Tage dort oben zu überleben.
    Im Medical Camp kümmerten sich Ärzte aus Anchorage und Fairbanks um die Kletterer, die Erfrierungen davongetragen hatten oder an akuter Bergkrankheit litten. Es gab auch einige Fälle mit Knochenbrüchen, und man richtete ein Zelt ein für die Leichen, die aus einer Schlucht unterhalb von Lager 6 geborgen wurden. Drei Bergsteiger waren dort in den Tod gestürzt.
    Eine vierte Leiche, die man von Suchflugzeugen aus fotografiert hatte, hing in etwa 4800 Meter Höhe an einem Seil um den Stiefel mit dem Kopf nach unten in der Wand. Die Jacke des Toten, die eigentlich leuchtend violett war, schimmerte blass-lavendelfarben unter einer dicken Eisschicht. Vielleicht war ein Karabinerhaken gebrochen, sodass er hier hängen blieb, dem stürmischen Eiswind ausgesetzt. Vielleicht hatte ihn auch der Wind umgerissen und das Seil um seinen Stiefel gewickelt. Was immer auch passiert war – der Mann hatte jedenfalls noch in dieser Position mit einem Farbspray etwas auf die Granitwand gesprüht. Es sah aus wie ein nach oben zeigender Pfeil mit einem Kreis auf der Spitze. Der Mann hatte offenbar eine Botschaft hinterlassen wollen, um dem Rettungsteam zu signalisieren, dass es über dem Felsvorsprung Überlebende gab. Nach der Höhe zu schließen, konnte es sich nur um einen der vier Bergsteiger handeln, die ihren Versuch gemeldet hatten, das Hochlager zu erreichen, nachdem sie am Gipfel des Denali waren. Offenbar waren sie in den folgenden beiden Tagen zum Lager 6 abgestiegen, wo sie sich eine Schneehöhle gegraben haben mussten – aber wo genau über dem Felsvorsprung sollte man in dem vielen Neuschnee nach Überlebenden suchen? Alle Spuren einer Höhle waren eine Stunde, nachdem man sie gegraben hatte, verschwunden, sodass es praktisch unmöglich war, sie zu entdecken.
    Ein Sprecher des National Park Service gab bekannt, dass man keine Teams hinaufschicken würde, um ohne jeden Anhaltspunkt nach Überlebenden zu suchen. Zu groß wäre das Risiko für Menschen und Geräte, die man benötigen würde, um ein solches Team hinaufzubekommen. Es waren über hundert Leute auf dem Berg, als das Unwetter hereinbrach – und bis auf zwölf schafften alle mehr oder weniger verletzt den Abstieg ins Medical Camp oder befanden sich bereits darunter.
    Landezonen oberhalb von 4000 Metern konnten nicht länger als sicher betrachtet werden. Die Klettersaison war außerdem weit fortgeschritten, und die Gletscher bekamen bereits Risse unter dem Schnee und bildeten tiefe Spalten, die teilweise so breit wie ein Haus waren. Der Neuschnee darüber bedeutete eine ständige Lawinengefahr, und zu allem Überfluss braute sich schon der nächste Sturm über der Beringstraße zusammen, der gegen Mitternacht hier sein würde, um den Berg erneut in eine weiße Hölle zu verwandeln. Die Rettungsteams bestätigten, dass sie das obere Drittel des Berges ohne eindeutige Hinweise auf Überlebende nicht absuchen würden. Was den Leichnam betraf, der in der Wand hing, so ging man davon aus, dass die anderen Mitglieder seines Teams ebenfalls tot waren. Man wies darauf hin, dass das Zeichen auf dem Fels schließlich kein Lebenszeichen sei. Es war nichts als ein vager Hinweis, der wahrscheinlich schon einige Tage alt war.
    Das alles war nicht leicht zu verdauen, fand Sherry. Sie hatte die Reportagen über die Katastrophe am Denali die ganze Woche über verfolgt. Jeden Abend hörte sie einen aktuellen Bericht über die tragischen Ereignisse, während der Sturm die Rettungsteams weiter daran hinderte, den Berg abzusuchen. Aber ein Berg in Alaska war weit weg von ihrem Wohnzimmer in Philadelphia. Und sie nahm zwar Anteil an dem, was dort geschah, aber mehr hatte sie damit nicht zu tun.
    Dann klopfte an diesem Morgen Garland Brigham, ihr Nachbar und bester Freund, an ihre Tür. Um sechs Uhr früh. Er war durch einen Anruf von Senator Metcalf aus dem Schlaf gerissen worden. Die einzige Tochter des Senators, Allison, hatte dem vierköpfigen Team angehört, von dem man glaubte, dass es den ersten Tag des Sturms

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