Blindwütig: Roman
den Autoschlüssel vom Haken und rannte in die Garage, als wollte er sich selbst ans Steuer setzen, um sich auf die Suche nach dem in Gefahr schwebenden Tier zu machen.
Wir nahmen ihm den Schlüssel ab, worauf er uns über eine Stunde lang auf den Fersen blieb und dabei ständig »Wir werden ein Hündchen retten!« intonierte. Um nicht den letzten Nerv zu verlieren, beschlossen wir, mit ihm zu einer Tierhandlung
zu fahren, um seine Hundebegeisterung auf eine Wüstenspringmaus, eine Schildkröte oder beides zu lenken.
Auf der Fahrt erklärte er plötzlich: »Jetzt sind wir gleich beim Hündchen!« Kaum hundert Meter weiter deutete er auf ein Schild mit der Aufschrift TIERHEIM. Wir nahmen fälschlicherweise an, er sei darauf nicht durch das Wort, sondern durch den daneben gemalten Umriss eines Deutschen Schäferhundes aufmerksam geworden. »Da rein, Daddy!«
Ganze Scharen verlassener Hunde bevölkerten diverse Zwinger, aber Milo marschierte direkt zur Mitte des mittleren Gangs und sagte: »Der da!«
Es handelte sich um einen zweijährigen Australischen Schäferhundmischling, weiblich, laut Aufschrift am Zwinger zweiundzwanzig Kilo schwer, mit zottigem, schwarz-weißem Fell und verschiedenfarbigen Augen, eines blau, das andere grau. Einen Collie zählte die Hündin offenkundig nicht zu ihren Vorfahren, aber Milo taufte sie trotzdem Lassie.
Penny und ich verliebten uns sofort in sie. Springmaus und Schildkröte mussten daher weiterhin auf ein neues Heim warten.
In den folgenden drei Jahren hat das Tier nicht ein einziges Mal gebellt. Wir fragten uns schon, ob unsere Lassie wenigstens dann dem Vorbild des Originals folgen und Laut geben würde, wenn Milo in einen verlassenen Brunnen fiel oder in einer brennenden Scheune eingesperrt war - oder ob sie uns in einem solchen Fall pantomimisch über den Notfall informieren würde.
Bis Milo sechs und Lassie fünf waren, blieb unser Leben nicht nur ohne jede Katastrophe, sondern auch frei von größeren Unannehmlichkeiten. Das änderte sich erst mit der Veröffentlichung meines sechsten Romans, der den Titel One O’Clock Jump trug, nach dem Jazz-Standard von Count Basie.
Meine ersten fünf Bücher waren alle Bestseller gewesen. Danke, Engel Ralph!
Übrigens handelt es sich bei Penny Boom natürlich um die Penny Boom, die berühmte Autorin und Illustratorin von Kinderbüchern. Es sind spannende und zudem sehr lustige Bücher.
Pennys Sinn für Humor ist auch der Hauptgrund, weshalb ich mich in sie verliebt habe, mehr als ihre Schönheit, ihr wacher Verstand und ihr gutes Herz. Würde sie je ihren Humor einbüßen, so müsste ich sie verlassen. Und dann würde ich mich umbringen, weil ich ohne sie nicht leben könnte.
Der Name auf ihrer Geburtsurkunde lautet Brunhild, was in etwa »gerüstet für den Kampf« bedeutet. Im Alter von fünf Jahren hat sie durchgesetzt, von nun an Penny genannt zu werden.
Am Anfang von Weltkrieg Waxx, wie wir inzwischen sagen, lebten Penny, Milo, Lassie und ich im Süden Kaliforniens, in einem schönen, von eleganten Phönixpalmen umstandenen Natursteinhaus mit Gipsverzierungen. Meerblick hatten wir zwar keinen, aber den brauchten wir auch nicht, denn wir waren genug mit uns und unseren Büchern beschäftigt.
Weil wir allerhand Batman-Filme gesehen hatten, wussten wir, dass das Böse durch die Welt schlich, aber wir hätten nie erwartet, es könnte plötzlich absichtlich sein Auge auf unser glückliches Heim richten. Dass es durch ein von mir geschriebenes Buch angezogen wurde, hätten wir uns erst recht nicht vorgestellt.
Nachdem ich bei jedem meiner früheren Bücher eine Lesereise durch zwanzig Städte unternommen hatte, überredete ich den Verlag, mir diese Strapaze bei One O’Clock Jump zu ersparen.
Deshalb stand ich am Erscheinungstag, einem Dienstag Anfang November, um drei Uhr morgens auf, um mir eine
Kanne Kaffee aufzubrühen und mich damit in mein Arbeitszimmer zurückzuziehen. Unrasiert und im Schlafanzug führte ich dort von vier bis halb zehn Uhr vormittags telefonisch eine Reihe von dreißig Radiointerviews, angefangen mit den Morgensendungen an der Ostküste.
Egal, ob es sich um Talkshows oder Musiksendungen handelt, Radiomoderatoren führen meist bessere Interviews als ihre Kollegen vom Fernsehen. Die haben normalerweise keine Ahnung von dem Buch, um das es geht, aber acht von zehn Radiomoderatoren haben es gelesen.
Außerdem sind die Typen im Radio intelligenter und lustiger, und dazu oft rücksichtsvoll und
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