Blutbahn - Palzkis sechster Fall
Münzighofer, der erste
Beigeordnete der Stadt Schifferstadt«, stellte Frau Grün mir einen seriös aussehenden
Mann im besten Alter vor. Dieser begutachtete mit faltiger Stirn meine Bekleidung,
bevor er mich ansprach: »Guten Tag, Herr Palzki. Frau Grün hat mich ja vorgestellt.
Eigentlich müsste ich im Moment auf einer Veranstaltung eine bedeutsame Rede halten,
aber das hier ist mir wichtiger. Sie scheinen ja ebenfalls gerade auf einer Fastnachtsveranstaltung
gewesen zu sein. Na ja, in unserem Job kann man sich die Arbeitszeit nicht immer
aussuchen.«
Oha, offensichtlich jemand, der
sich wichtig machen will. Kurz angebunden fragte ich ihn: »Ja, bitte?«
»Ich muss dringend mit Ihnen über
die Sicherheitsaspekte des Bahnhofumfeldes reden.«
»Hat das nicht Zeit bis nächste
Woche?«, entgegnete ich und bemühte mich dabei, möglichst genervt zu klingen. »Da
gibt es bestimmt Ausschüsse und Unterausschüsse und so Sachen.«
»Sie verstehen nicht, Herr Palzki.
Es geht um ein bestehendes Konzept.«
»Na, dann ist ja alles bestens,
Herr, äh, Herr Münzighofer. Wo liegt das Problem? Der Hauptbahnhof in Schifferstadt
ist sowieso kein sozialer Brennpunkt. Mehr als zwei oder drei Schwerverletzte gab
es im Monat noch nie.«
»Sie haben recht, die Kriminalitätsrate
ist stark gesunken, seit wir die Kameras installiert haben.«
»Sie haben hier eine Videoüberwachung?
Wieso weiß ich davon nichts?«
Münzighofer druckste herum. »Ja,
das ist so –« Er schaute zu Boden. »Die Kameras sind noch nicht genehmigt, wir haben
das im Stadtrat in nichtöffentlicher Sitzung als Probelauf deklariert.«
»Na, das ist doch mal eine tolle
Information. Selbstverständlich beschlagnahme ich sofort alle Aufnahmen, das kann
unsere Arbeit sehr erleichtern. Werden die Videos zentral gespeichert?«
»Das schon. Aber verstehen Sie mich
richtig, Herr Palzki. Ich darf Ihnen die Daten nicht geben. Der Datenschutzbeauftragte
der Stadt Schifferstadt würde mir die Hölle heißmachen. Es gibt die klare Regel,
dass die Aufnahmen bis zu einer endgültigen Genehmigung der Videoüberwachung keineswegs
verwendet werden dürfen.«
Ich glaubte, nicht richtig zu hören.
»Sagen Sie mal, wissen Sie, was Sie da sagen? Hier geht es um Mord, nicht um das
Persönlichkeitsrecht von ein paar zufällig auf den Aufnahmen befindlichen Personen.
Ich muss den Teufel finden, außerdem habe ich keine Lust, die Waschmaschine wieder
nach Ludwigshafen zu fahren, Herr Münzighofer!«
Während Gerhard lachte, stand der
Beigeordnete mit offenem Mund da und war sprachlos. Teufel und Waschmaschine waren
für ihn böhmische Dörfer. Eine gute Gelegenheit, mich zu verabschieden. Ein kurzes
Nicken musste reichen.
Ich bat Frau Grün, sich um die Videoaufnahmen
zu kümmern. »Die Bundespolizei macht doch alles rund um den Bahnhof, wenn ich mich
recht erinnere?« Beleidigt zog auch sie ab. Ich war heute mal wieder so ein richtiger
Menschenfreund.
3
Bahnhofsgeschichten
Unschlüssig stand ich da und überlegte mir die nächsten Schritte. Am
Rande hatte ich mitbekommen, dass einige meiner Kollegen aus ihrem Wochenende in
den Dienst gerufen worden waren und sich um die ganzen Leute kümmerten. Alle Fahrgäste,
deren wir noch habhaft werden konnten, mussten ihre Personalien angeben. Ich hatte
keine Lust, bei dem Protokollieren mitzumischen. Gerhard stand neben mir und schaute
mich an. Er hatte bestimmt ähnliche Gedanken. Jutta kam auf uns zu.
»Jungs«, so sprach sie uns in letzter
Zeit öfters an, »ich denke, ihr könnt schon mal ins Büro fahren. Ich organisiere
schnell den Rest, dann komme ich nach.« Sie bemerkte meinen flüchtigen Blick auf
die Armbanduhr. »Ich weiß, Reiner, der Samstag ist so gut wie gelaufen. Aber wenn
nicht noch etwas Dramatisches passiert, können wir unsere Teambesprechung kurz halten.
Das Aufnehmen und Sondieren der ganzen Protokolle können wir getrost den Kollegen
überlassen. Übrigens hat mich eben eine Frau Grün angesprochen. Die Festplatte der
Videoüberwachung will sie später im Waldspitzweg in der Inspektion vorbeibringen.
Den Laden muss sie sich unbedingt von Innen anschauen, meinte sie. Wisst ihr, was
sie damit meinte?«
Ohne uns abzusprechen, starrten
Gerhard und ich in die Luft und taten so, als hätten wir die Frage nicht gehört.
Jutta verstand. »Habt ihr mal wieder
eine Kollegin traumatisiert? Na ja, mir soll’s egal sein. Bis später.«
»Was machen wir mit den Kinderzimmern?«,
fragte ich Gerhard, als wir im
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