Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
stehen, bis Jenna sich hingesetzt hatte. Es schien ihm nichts auszumachen, Frauen in fast allen Dingen den Vortritt zu lassen, dachte sie lächelnd, während sie die letzten Knöpfe ihrer Bluse zuknöpfte. Sex ohne Kondom – das hatte sie noch nie getan. Nicht einmal auf dem Rücksitz im Auto des Vaters von Ricky Jimenez bei ihrem allerersten Mal. Aber verdammt noch mal, das Risiko war anregend. Und der Sex fühlte sich so natürlich an. So natürlich, wie es sich anfühlte, eine Pistole zu halten, das Ziel ins Visier zu nehmen und den Abzug zu betätigen. Sie sollte Bob beruhigen. Sie hatte sich testen lassen. Sie nahm die Pille. Aber er fragte gar nicht. Entweder vertraute er ihr, oder es war ihm zu peinlich. Als er sich neben sie setzte, drückte er sein Bein leicht gegen ihren Schenkel. Und dann spürte sie plötzlich auch seine Hand. Sie lag einfach auf Jennas Bein, als gehörte sie dorthin. Ganz natürlich und gar nicht besitzergreifend. Sie brauchte nur ihr Gewicht zu verlagern, und die Hand wäre verschwunden. Ihre Entscheidung. Das gefiel ihr. Und ihr gefiel, dass er nicht diese ganzen unbeholfenen Fragen stellte, die so oft die Stimmung verdarben. Ihr gefiel das Gefühl der Wildheit, dass sie tun und lassen konnte, was sie wollte. Sie verlagerte ihr Gewicht nicht. Die Hand blieb, wo sie war. Sie war gerade dabei, mit ihrer eigenen Hand unterhalb des Tisches auf Erkundung zu gehen, als Roy plötzlich in lautes Weinen ausbrach. Es waren nicht nur Tränen und Schluchzer. Das waren Trauerschreie. Fehlte nur, dass er sich die Haare raufte und sein Hemd zerriss.
»Was hat O’Hara gesagt?«
»Dass sie Rachels Leiche in den Brandtrümmern gefunden haben«, flüsterte Bob. »Arme Rachel.«
O’Hara beugte sich nach vorn. Sie konnten sein Gesicht nicht sehen, aber er schien Roy trösten zu wollen, indem er ihm die Hand tätschelte. Roy schniefte laut und ließ den Kopf hängen.
»Was ist mit Sally? Hat man sie gefunden?«
»Noch nicht. Die Überreste werden noch immer durchsucht«, antwortete O’Hara. Roy ließ erneut einen gepeinigten Aufschrei los.
»Wer ist Sally?«, wollte Jenna wissen.
»Rachels kleine Tochter. Ist gerade vier geworden.«
»Sie befand sich in dem Mobilheim?« Die Explosion, die Hitze und der Feuerball – niemand hätte in diesem Mobilheim überleben können. Wahrscheinlicher war, dass die Kleine bereits von den Automatikgeschossen getroffen worden war, mit denen die Biker die dünnen Wände durchsiebt hatten.
»Um Himmels Willen, wie kann man an so einem Ort ein Kind großziehen?«
Bob sah zur Seite.
»Es war nicht deine Schuld«, sagte Jenna. »Du wolltest ihr helfen. Ihnen helfen.«
»Es war nicht meine Schuld!«, brüllte jetzt auch Roy. »Ich habe versucht, sie zu beschützen! Das können Sie mir nicht anhängen. Es war nicht meine verdammte Schuld. Wenn diese Bullenschlampen nicht aufgetaucht wären, wäre das alles nicht passiert!«
Auf einmal fiel es Jenna wie Schuppen von den Augen. Sie saß im Dunkeln und sah einem Mann dabei zu, wie er in sich zusammenfiel. Roy hatte recht. Es war nicht seine Schuld. Hätte Lucy Adam nicht entkommen lassen, wären sie nicht bei Rachel vorbeigefahren. Sie wären in die Stadt zurückgefahren und Jenna hätte keinen Menschen getötet. Rachel und ihre kleine Tochter wären noch am Leben und Jenna hätte niemals diesen scheußlichen Geschmack aus Katzenpisse im Mund gehabt, der das Atmen und Schlucken beinahe unmöglich machte, sie hätte den Abzug nicht betätigt und …
Der Stuhl kratzte über den Boden und der Tisch ruckelte, als sie hastig aufstand.
»Ich muss hier raus.«
»Ich dachte, du wolltest hören …« Bob machte ihr die Tür auf. »Jenna, ist alles in Ordnung?«
Jenna stürzte über den Korridor, riss die Tür zu den Toiletten auf und ließ sich vor einer der Schüsseln auf den Boden fallen. Um sie herum schien alles zu wogen und zu schlingern. Nein, nichts war in Ordnung. Sie war nicht sicher, ob es das jemals wieder sein würde. Bob kam ihr hinterher. Er strich ihr das Haar zurück, tupfte ihr Gesicht mit einem Papierhandtuch ab und half ihr beim Aufrichten, als klar wurde, dass sie sich nicht noch einmal erbrechen musste. Es saß alles viel zu tief in ihr fest. Gärte vor sich hin, nagte an ihr und konnte sie jederzeit überfallen. Wie konnte sie sich nur eingebildet haben, die Kontrolle zu haben? Jenna spritzte sich Wasser ins Gesicht und gab ein schwaches Lachen von sich. Bob stützte sie sanft.
Komischerweise
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