Blutheide
Kriminalhauptkommissar Rehder, Benjamin Rehder. Mein bester Mann hier. Er wird Sie in der ersten Zeit ein bisschen unter seine Fittiche nehmen, wie man so schön sagt. Hängen Sie sich an seine Fersen, da können Sie sicher noch eine Menge dazulernen und werden sich schnell eingewöhnen.«
Benjamin Rehder kannte die Floskeln seines Chefs bereits zur Genüge und fand diese gezwungen lockeren Vorstellungen alles andere als angenehm. Zumal die Sache mit dem ›tollen Timing‹ ein einziger Witz war, da Mausner ihn extra schon um kurz vor acht in sein Büro gebeten hatte, damit sie Katharina von Hagemann gemeinsam begrüßen konnten. Was Benjamin Rehder aber viel mehr irritierte, war das merkwürdige Verhalten der neuen Kollegin. Kaum dass sie den Raum betreten und ihn gesehen hatte, war sie wie zur Salzsäule erstarrt. Es hatte einige Sekunden gebraucht, bis sie ein komplett verunsichertes »Vielen Dank, ich freue mich, hier zu sein!« hervor gestottert hatte. Jetzt erst schien sie sich langsam wieder in den Griff zu bekommen. Allerdings war ihm, als würde sie seinem Blick ausweichen. Darum wendete er sich jetzt ganz direkt an sie.
»Frau Oberkommissarin von Hagemann, ich fürchte, das wird ein Sprung ins kalte Wasser und keine langsame Eingewöhnung. Letzte Nacht ist etwas vorgefallen, ich werde Sie am besten gleich mit den Details vertraut machen.« Rehder nickte seinem Chef zu und hielt der jungen Kommissarin die Tür auf. »Ich zeige Ihnen kurz Ihren Arbeitsplatz, und dann müssen wir reden.«
»Ja, ich denke, das sollten wir wohl«, antwortete Katharina von Hagemann leise.
Erneut irritiert sah der Hauptkommissar sie an: »Natürlich, ich muss Sie ja über den Stand der Dinge informieren. Letzte Nacht wurde eine Frau ermordet, und Sie werden umgehend in die Ermittlungen einsteigen müssen.«
09.41 Uhr
Katharina hatte sich etwas beruhigt, war aber immer noch verunsichert. Seit rund eineinhalb Stunden erläuterte ihr neuer Boss nun den laufenden Fall, ohne auch nur ansatzweise ein Problem damit zu haben, dass er noch bis vor wenigen Stunden das Bett mit ihr geteilt hatte. So betrunken, dass er sich an nichts erinnern konnte, war er nicht gewesen, da war Katharina sicher. Zum einen hätte sie das gemerkt, zum anderen könnte er dann nicht so klar und zielgerichtet agieren, wie er es jetzt tat.
»Frau von Hagemann, hören Sie mir eigentlich noch zu?« Rehder war inzwischen leicht genervt, denn die neue Kollegin schien nicht so ganz bei der Sache zu sein. »Hören Sie, ich habe Ihnen vorhin bereits gesagt, das wird ein Sprung ins kalte Wasser. Wir sind hier nicht in München, wo es ein riesiges Team bei der Kripo gibt, und jeder sich nach eigenem Gusto überlegen kann, ob er gerade Lust auf den Fall hat oder ihn lieber einem anderen überlässt. Wenn Sie sich das nicht zutrauen, dann …«
»Nein«, fiel Katharina ihm erschrocken und leicht verärgert ins Wort, »es tut mir leid, natürlich traue ich mir das zu. Es ist nur … sollten wir nicht auch über … ich meine …«
Das Telefon klingelte bevor Katharina einen Versuch unternehmen konnte, die delikate Situation anzusprechen. Rehder griff zum Hörer und meldete sich. Nachdem er einige Sekunden nur stumm zugehört hatte, sagte er: »Wo genau? Okay, wir sind gleich da.«
Während er zu seiner Jacke griff, die über dem Stuhl hing, wendete er sich Katharina zu und erklärte: »Wir haben eine neue Leiche, ist gerade aus dem Wasser gefischt worden. Die müssen wir auch übernehmen. Meinen Sie, Sie vertragen das?«
Der zynische Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören, aber Katharina wollte sich nicht weiter provozieren lassen und antwortete so lässig, wie es ihr möglich war: »Sicher, ist ja nicht die erste Leiche, die ich zu sehen bekomme. Wo müssen wir hin?«
»Ins Hotel Heideglanz, das ist hier so ziemlich das, was man als das ›erstes Haus am Platz‹ bezeichnet. Man wird dort sicher nicht begeistert sein, wenn wir vor Ort ermitteln. Ich kenne den Hoteldirektor, das wird schon anstrengend, bevor wir die Leiche überhaupt zu sehen bekommen haben.«
Während der kurzen Fahrt zum Tatort informierte Rehder seine Kollegin über die wenigen Fakten, die man ihm am Telefon mitgeteilt hatte. Eine männliche Leiche, die offenbar schon etwas länger im Wasser gelegen hatte, bisher nicht identifiziert. Die Hotelterrasse lag direkt an einem kleinen Schleusenkanal, und die Leiche hatte sich offensichtlich im Gebälk der Terrasse verfangen, als sie von
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