Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
gedrungene Frau tastete nun mit ihren von der harten Feldarbeit rauh und schwielig gewordenen Fingern das knochige Gesicht ihres Sohnes ab, als müsse sie erst mit den Händen fühlen, begreifen, dass ihr Giordano leibhaftig vor ihr stand. Über sechs Jahre war es nun her, dass sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Es schien ihm, als trüge sie immer noch dasselbe dunkelbraune, an manchen Stellen bereits brüchig gewordene Kleid mit der speckig glänzenden, weißen Schürze darüber. Ihr Haarreif, da war er sich sicher, war jedenfalls der aus Schildpatt, den ihr sein Vater von einem seiner Feldzüge mitgebracht hatte. Giordano war unrasiert, und seine Bartstoppeln stachen seine Mutter in die Handflächen. Er versuchte seinerseits, so gut es ging, ihre Freudentränen zu trocknen. Erst jetzt hatte er Gelegenheit, sich in der kleinen Kammer, die Wohn- und Essbereich zugleich war und in der früher auch seine Bettstatt gestanden hatte, umzusehen. Das Haus selbst war ebenfalls unverändert. Der einstöckige Ziegelbau umschloss wie eine kleine Festung einen gepflasterten Innenhof. Im hinteren Teil des Hauses, der direkt an die Weingärten grenzte, befanden sich die Weinpresse und der Zugang zu einem in den felsigen Boden gehauenen Weinkeller, in dem ein gutes Dutzend Fässer lagerte. Es war Giordano immer verboten gewesen, alleine in das feuchte Gewölbe zu gehen.
Seine Mutter hatte gerade bei Kerzenschein einen beschädigten Korb geflickt. Es hatte sich kaum etwas verändert, seit er von hier fortgegangen war. Die beiden gefleckten Katzen, die ihm als Junge zugelaufen waren, waren immer noch da und strichen nun um seine Beine. Die Schwänze steil nach oben gereckt, wollten sie gestreichelt werden. Auch sein Bett stand noch dort, wo er es einst verlassen hatte. Nur das Kruzifix darüber, das er irgendwann einmal abgehängt und auf den Schrank mit den Lebensmitteln gelegt hatte, war wieder an seinem alten Platz. Es roch nach Schmalz und Äpfeln. Durch die offenen Fenster wehte ein leichter Nachtwind.
Die letzten Kilometer Richtung Nola waren Giordano wie eine Ewigkeit vorgekommen. Er hatte unterwegs kaum haltgemacht. Ab und zu ein Schluck Wasser aus einer Zisterne in den kleinen Ortschaften, durch die er gekommen war, eine kurze Rast im Schatten eines Feigenbaums, dann war er wieder zurückgekehrt in seine Gedankenwelt, die ihn den langen, beschwerlichen Weg für geraume Zeit vergessen ließ. Nun spürte er aber seine wundgelaufenen Füße. Das alte Holzbett ächzte wie früher, als er sich darauf niederließ.
„Hast du Hunger, Durst? Was kann ich dir bringen?“ Seine Mutter hatte endlich ihre Fassung wiedergefunden. In der Ferne heulten ein paar streunende Hunde den prachtvoll leuchtenden Mond an. Zu gern hätte sie ihn jetzt gleich gefragt, was in aller Welt er spätabends hier wolle. Die Freude, ihn wiederzusehen, wich der Sorge und Angst, im Kloster könne etwas vorgefallen sein. Es war eine sehr schwere Entscheidung für sie und ihren Mann gewesen, den damals erst Vierzehnjährigen zum Studium nach Neapel zu schicken. Nur allzu gut hätten sie eine helfende Hand für ihre kleine Landwirtschaft brauchen können. Der Vater war wieder kurz davor gewesen, in einen Krieg zu ziehen, von dem man nie genau sagen konnte, wie lange er dauern würde. Es war gegen die Türken gegangen, und es konnten Jahre vergehen, bis er wieder nach Nola zurückkehren würde. Die Nachbarn, die dann in der Landwirtschaft aushalfen, hatten ihnen zugeredet, den Sohn nicht ziehen zu lassen, doch Giordanos Mutter war sich nicht sicher, ob sie alleine für sich und den Jungen würde sorgen können, zumal sich eine längere Dürreperiode ankündigte. Der Eigenbrötler solle lieber arbeiten, wie ihre Kinder auch, hatten die Nachbarn sich eingemischt. Studieren wollte er. Grammatik, Rhetorik, Poetik – wer sollte davon einmal eine Familie ernähren können? Ein Augustinerpater auf der Durchreise hatte sie schließlich überredet, den auffallend begabten Jungen nach Neapel zu schicken. Er hatte sich angeboten, ihn mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass er im Kloster untergebracht würde. Auf die Frage, wer denn für die Kosten aufkäme, hatte er nur gelächelt. Der Orden freute sich über begabten Nachwuchs und konnte ein so schlaues Bürschchen, wie ihr Junge es war, gut brauchen. Er konnte es formen und dafür sorgen, dass ein guter, kirchentreuer Geistlicher aus ihm würde. Mit siebzehn war er dann in den Dominikanerorden eingetreten, der
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