Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
die Wassertropfen auf Moos und Gras im Gegenlicht. Ein geheimnisvolles Knistern lag über dem sonnengefleckten Boden und passte auf zauberische Art zu dem Nebel, der zwischen den Blättern hing und dem Wald eine mystische Aura verlieh.
Eppe von Hadstatt, seit dem Jahr 1366 neuer Pfandherr des Burkheimer Schlosses, merkte nichts von diesem Waldweben. Gebannt suchte er nach der prächtigsten weißen Taube, die er je gesehen hatte und brannte vor Ehrgeiz, mit ihr seine heutige Pirsch zu krönen. Das Jagdglück hatte ihm einen Zwölfender, einen Hasen und sogar einen Luchs vor den Bogen getrieben. Doch wie verblendet irrte er dieser Taube nach, die ihn schon mehr Pfeile gekostet hatte als alles Fellwild zusammen. Nur einen einzigen Pfeil hatte er noch und unmutig war er fast versucht, den Teufel um einen Freischuss anzurufen. Sein Nacken glühte vor Anspannung und die Augen schmerzten, wenn sie von einem der schräg einfallenden Sonnenstrahlen getroffen wurden. Längst hatten die Regengüsse des Tages seinen lederbewehrten Jagdrock in eine klamme, scheuernde Zwangsjacke verwandelt, ja selbst seine neuen, mit Talgnähten geschützten Stiefel zogen schon Wasser.
Ein paar Mal hatte es so ausgesehen, als habe er getroffen, denn wie ein Stein war die Taube dann in die Tiefe gestürzt – aber außer einer zarten weißen Feder war an der vermeintlichen Stelle nichts weiter zu finden gewesen.
Eppe von Hadstatt fluchte. Seit Stunden wollte sich ausgerechnet für diesen letzten Schuss keine Gelegenheit einstellen, die Taube war verschwunden. Sollte er also aufgeben? Nein, um keinen Preis! Eppe von Hadstatt hatte sich in den Gedanken verbohrt, auch seinen letzten Pfeil auf dieses Tier abzuschießen.
Voller Wut trat er nach einer dicken Spinne, die eine in ihr Netz verfangene Fliege umspann. Unter dem heftigen Tritt zerbarst der verwitterte Baumstumpf in brackigem Moder – in der gleichen Sekunde, in der ihm wieder eine weiße Feder vor die Füße schwebte. Und einen Atemzug später vernahm Eppe von Handstatt auch wieder das Gurren. Ganz nah war es. Aus der Krone der alten Eiche kam es, die wenige Schritte entfernt stand und sein geübtes Ohr hörte sofort, dass die Taube nicht sehr hoch sitzen konnte. Hastig stolperte er vorwärts und noch bevor er die Taube entdeckt hatte, riss er seinen letzten Pfeil aus dem Köcher.
Doch in der ebenmäßigen Krone dieses schon Jahrhunderte zählenden Baumes verirrten sich seine vom Suchen erschöpften Augen. Ein Schwindelanfall bestrafte seine wahnsinnige Hast. Vom Gegenlicht gereizt musste Eppe von Hadstatt die Augen schließen. Halbblind tappte er umher und als er endlich aufsehen konnte, glaubte er, ihn narre ein Trugbild. Denn in lächerlich geringer Entfernung saß die Taube ruhig auf einem der mächtigen unteren Hauptarme der Eiche und blickte ihn an. Sie schien keine Angst zu haben – als könne sie sich mit ihrem wunderbaren, vom Licht umflossenen Gefieder gegen ihren Verfolger wappnen.
Eppe von Hadstatt griff nach dem Bogen. Diesmal würde er triumphieren, dessen war er sich sicher. Ohne Hast spannte er die Sehne, ungerührt von der prächtigen Erscheinung. Rettungslos war ihm auf diese Distanz die Taube ausgeliefert, selbst wenn sie plötzlich auffliegen sollte. Eppe von Hadstatt hob den Bogen. Er fühlte sich im Recht, denn hier am Eichberg lagen seine Pfründe, ihm vom Kaiser mit Siegel verbrieft. Selbstgerecht achtete er nicht mehr auf das überirdische Leuchten. Eins waren jetzt Bogen und Wunsch – doch in ein tausendfach überstrahlendes Weiß schnellte sein Pfeil, ein Weiß, das alles um sich herum verschlang und den Schützen zu Boden schmetterte.
Der Geschmack von Laub und Erde verscheuchte schnell den Gedanken, einem Traum ausgeliefert zu sein. Das Damaskuserlebnis des Saulus kam dem Pfandherrn in den Sinn und voller Angst wagte er nicht mehr die Augen zu öffnen. Maßlos erschien ihm jetzt seine Eitelkeit und statt des Jagdfiebers breitete sich eine schale Leere in seiner Seele aus. Starr blieb er am Boden liegen. Doch nach einiger Zeit wuchs seine Gewissheit, dass er nirgends versehrt war. Schließlich siegte die Neugier und Eppe von Hadstatt wagte es, aufzusehen – nichts hatte sich verändert. Zögernd streiften seine Blicke zur Eiche und in der Hoffnung, wenigstens noch eine Feder zu finden, rappelte er sich auf. Mit klopfendem Herzen ging er um den Stamm, aber mit jedem Schritt wuchs seine Enttäuschung. Plötzlich knackte es unter seinem Stiefel. Eine gute
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