Blutige Küsse und schwarze Rosen
Klamotten, ohne die Elias kaum aus dem Haus ging, noch verstand er seine Begeisterung für die Schattenwelt. Und trotzdem war es Nico, der in einem Raum voller Menschen aus der Masse stach; selbst neben jemandem wie Elias, dessen Fingernägel ebenso schwarz wie seine Kleidung waren und der sich – auch wenn er es nie zugeben würde – die Wimpern tuschte, um seine schokoladenbraunen Augen unter dem langen Ponyschnitt hervorzuheben und seinem Gesicht ein mystisch angehauchtes Äußeres zu verleihen.
Nico hingegen zog die Blicke auf sich, indem er bloß existierte. Es war sein ganzes Wesen, das ein gewisses Etwas ausstrahlte, welches nicht mit Worten zu beschreiben war. Seine Art faszinierte. Er konnte derartig direkt sein, dass er Leuten damit nicht selten vor den Kopf stieß, und gleichzeitig rätselhaft. Seine Verschlossenheit warf manchmal Fragen auf, und dennoch vertraute Elias ihm grenzenlos. Nico war so voller Gegensätze und schlichtweg außergewöhnlich. Vom ersten Moment an hatte Elias das gespürt.
Damals, vor drei Jahren, war Nico neu zugezogen, nachdem er in die nahegelegene Universität gewechselt hatte. Er hatte sich wortlos abseits der restlichen Studenten der Sozial- und Kulturwissenschaften gesetzt und sofort Elias’ Aufmerksamkeit geweckt – hatte die Aufmerksamkeit von jedem geweckt. Er und seine geschmeidigen Bewegungen, die dem anmutigen Wesen einer Raubkatze um nichts nachstanden. Seine weißblonden Haare, die in alle Himmelsrichtungen abstanden, als seien sie seit Ewigkeiten nicht mehr gekämmt worden. Sein Augenbrauenpiercing, das mit einem lila Steinchen geschmückt war, und die seltsam grünen Augen betonte, bei denen schwer zu erkennen war, ob es sich nicht vielleicht um getönte Kontaktlinsen handelte …
Nico hatte ebenso wenig in diese alltägliche, langweilige Vorstadt gepasst, wie Elias. Und dennoch hatten die anderen den damals Neuen mit offenen Armen empfangen – hatten sich mit dem „außergewöhnlichen Kerl“ brüsten wollen. Der dagegen hatte nicht das geringste Interesse an ihnen gezeigt und sich stets arrogant und unnahbar gegeben, um die Meute auf Abstand zu halten. Diese Eigenschaft hatte Nico bis heute beibehalten und damit Respekt und Ablehnung gleichermaßen auf sich gezogen. Lediglich zu Elias hatte sich eine Freundschaft entwickelt. Nur ihm gegenüber legte er seine Unnahbarkeit und seine alles auf Distanz haltende Maske ab. Und wäre es heute nicht die Party seines besten Freundes gewesen, hätte Nico sich hier gar nicht erst blicken lassen. Denn Partys und Menschenansammlungen jeder Art waren ihm zuwider.
So war Nico nun einmal: cool, zurückgezogen, anders, bemerkenswert.
„Hey, hörst du mir überhaupt zu oder schläfst du schon?“
Erschrocken richtete Elias seinen auf den Leitersprossen angelehnten Körper auf. Es war schon wieder passiert. Er war erneut in Gedanken an seinen Kumpel versunken.
„Ich hab eben vorgeschlagen, aus dir auch so was zu machen, falls du heute an einer Alkoholvergiftung stirbst“, wiederholte Nico und sah sich argwöhnisch den weit geöffneten Mund des Schädels an, in dessen Höhle bereits ein Teelicht befestigt war.
„Ach, halt die Klappe!“ Elias schmunzelte. „Ich finde die Ausbeute klasse!“
„Passt jedenfalls gut in deine Grufti-Wohnung!“, scherzte Nico und zwinkerte. „Genau wie Amelie. Ist dir aufgefallen, dass sie heute ganz im Nieten-Leder-Look aufgekreuzt ist? Das war garantiert nur für dich! Sie konnte übrigens kaum die Augen von dir lassen.“
Elias schenkte seinem Freund lediglich ein müdes Lächeln und spürte, wie das Hochgefühl, das während der tollen Feier seinen Bauch erfüllt hatte, zu einem schweren Klumpen wurde.
„Fang bitte nicht ständig davon an“, murmelte er und stopfte das Metallpapier in einen großen Müllsack.
Er hasste dieses Thema. Seitdem Amelie sich vor zwei Monaten auf einer Studentenparty an ihn herangemacht und er ihre Annäherungsversuche nicht gerade unterbunden hatte, wurde ihnen eine heimliche Beziehung angedichtet. Mit dem kurzen Flirt hatte Elias zwar durchaus beabsichtigt, seinen Mitmenschen Interesse an diesem Mädchen vorzugaukeln, doch wurde ihm das Getuschel allmählich zu viel. Dass Amelie ganz offen für ihn schwärmte, trug den Rest zum Gerede bei. So etwas passierte nun mal in dem sonst so ereignislosen Vorort einer Großstadt: Selbst noch so haltlose Gerüchte wurden zerpflückt und diskutiert.
„Ich weiß, dass sie ein bisschen anhänglich sein
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