Blutige Küsse und schwarze Rosen
zwischen uns. Niemals. Du musst dir dennoch im Klaren darüber sein, dass sich dein Leben von da an ändern wird. Es gibt kein Zurück. Danach kannst du keine der Veränderungen kontrollieren. Sie werden einfach geschehen.“
Das stimmte wohl. Wenn Elias erst einmal in den Genuss gekommen war, den Mund eines Mannes zu küssen … Das würde mit Sicherheit alles verändern und er würde die Gefühle – einmal entfesselt – nicht mehr unter Kontrolle bringen können. Konnte er damit leben? Nach all der Zeit des Verdrängens?
„Solange zwischen uns alles beim Alten bleibt …?“ Wenn das gegeben war, stand seine Entscheidung fest. Wenn Nicos Freundschaft ihm sicher war, überstand Elias alles.
„Nun. Wir werden uns danach natürlich in gewisser Weise näherstehen. Das ist dir ja bestimmt klar? Ich mache das immerhin nicht täglich. Und du auch nicht.“
Eine tiefe Erleichterung durchzog Elias’ Körper. Er hatte bestenfalls damit gerechnet, dass Nico ihm versprach, alles bliebe gleich. Doch nun sollten sie einander nach dem Kuss sogar näherstehen als sie es ohnehin schon taten? Mehr musste Elias nicht hören.
Erfüllt von freudiger Anspannung, ging er stumm neben Nico her, bis ihm auffiel, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, wohin.
„Hast du ein bestimmtes Ziel?“, fragte er, als sie den Weg ansteuerten, der aus der Wohnsiedlung hinausführte und auf dem kaum eine Laterne mehr die Straßen säumte.
„Ich hätte gedacht, du weißt es längst“, meinte Nico und sah zum Himmel. „Die perfekte Zeit, der perfekte Ort.“
Elias folgte dem Blick. Ein kreisrunder Mond thronte über ihren Köpfen. Sofort schossen ihm Bilder seines letzten Traumes ins Gedächtnis. Rote Lippen, ein greller Mond …
„Wir gehen zur Kirche?“
Nico lachte auf. „Zu den schnellen Denkern gehörst du nicht, was?“
Jetzt, wo keine zweihundert Meter vor ihnen das alte, prachtvolle Gebäude im Licht der Taschenlampe auftauchte, schien es wirklich lachhaft, dass die Idee Elias nicht früher gekommen war. Aber es war ja keinesfalls so, als hätte er in den vergangenen Minuten keine anderen Gedanken gehabt.
***
Aufwendig mit biblischen Gestalten verziert, ragte das gewaltige Tor der Kirche vor ihnen auf, als sie direkt an der steinernen Treppe standen. Die Mauern strömten eine spürbare Kälte aus und Elias fragte sich, welche Temperaturen im Inneren herrschen mochten.
„Meinst du, sie ist verschlossen?“, wandte er sich an Nico, der seinen blonden Schopf schüttelte.
„Nein. Die Kirche steht seit Jahren offen. Nur …“ Er tat einen Schritt rückwärts. „… da hinein können wir später, wenn du unbedingt willst. Lass uns erst mal nach hinten verschwinden.“
„Auf den Friedhof?“
Noch bevor Elias eine Antwort erhielt, schloss er sich Nico an.
„Ja“, entgegnete der und gemeinsam gingen sie um das imposante Gebäude herum. „ Solange der Mond unbedeckt scheint.“
Es war kein Geheimnis, dass Elias sich von der dunklen Welt angezogen fühlte. Trotzdem verwunderte es ihn, dass Nico sich für einen Kuss zwischen Gräbern entschieden hatte.
Diese Verwunderung hielt jedoch nicht lange. Sobald die beiden um die mit Statuen geschmückten Mauern herum in den Hinterhof gelangt waren, bot sich ihnen ein Bild, das die ideale Kulisse für ein Musikvideo der Gothic-Szene geboten hätte.
Während Nico Elias führte, erhellte die kleine Lampe verwitterte Grabsteine, deren Gravuren kaum noch zu entziffern waren, Sitzbänke und Gitter, an denen sich Rosenranken emporschlängelten, die in Unkraut zu ersticken drohten. Überall ragten Engelsstatuen auf, deren Schwingen von der Zeit stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren.
„Lass uns hier bleiben“, sagte Nico und machte so abrupt Halt, dass Elias, der sich von der Atmosphäre hatte fesseln lassen, beinahe in ihn gerannt war.
Sie gingen auf einem unbewachsenen Stückchen Erde zwischen zwei Grabsteinen auf die Knie. Der Boden war steinhart und trotz der angenehmen Temperatur eiskalt. Ein Frösteln kroch Elias, angefangen bei den Beinen, über den gesamten Körper.
„Bist du okay?“
Elias nickte und schloss die Finger weiter um die kleine Aufnahme. Bestimmt traten seine Knöchel durch den festen Griff bereits weiß hervor.
Da er keine Ahnung hatte, ob er Nico seinen Wunsch nun einfach mitteilen oder noch warten sollte, heftete Elias sein Augenmerk auf den Boden zwischen ihnen. Die Erde war vollkommen ausgetrocknet, offenbarte an einigen Stellen sogar
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