Blutige Nacht: Roman (German Edition)
von schlechtem Karma, seine Wünsche und Träume im Dunkeln wegzuschließen. Es sei denn, es handelt sich um Wünsche und Träume, die man vor anderen geheim halten möchte. Das macht mich neugierig. Ich knacke das Vorhängeschloss und wühle darin herum. Unter einem gelben Hochzeitskleid und mehreren nach Mottenkugeln stinkenden Decken stoße ich auf ein Fotoalbum.
Ich setze mich auf die Bettkante und blättere es durch. Das ist kein Familienalbum. Seite um Seite sehe ich darin Schnappschüsse von verschiedenen Teenagern, die neben einer Frau in die Kamera starren. Etwas an diesen Schnappschüssen ist komisch, die Art und Weise, wie die Frau in die Kamera blickt, hat etwas leicht Beunruhigendes, als hüte sie ein dunkles und amüsantes Geheimnis, das nur sie kennt, eines, das sie mit sich selbst teilen will, wann immer sie diese Fotos zukünftig betrachtet. Ich kann keine bessere Erklärung dafür liefern als diese, aber irgendwie bereitet mir das hier eine Gänsehaut. Und die Tatsache, dass ich die Frau kenne, verstärkt es nur.
Das allerletzte Foto in diesem Album ist von Raya; Raya, einen dünnen Arm um die Schultern der Frau gelegt und ein breites, durch Drogen hervorgerufenes Grinsekatzenlächeln zur Schau gestellt. Ich ziehe die Klarsichtfolie vom Foto und reiße es von dem schwarzen Untergrund, auf dem es klebt. Ich stecke es ein und stöbere noch etwas weiter herum. Dabei stoße ich noch auf eine weitere interessante Sache. Dann setze ich mich im Dunkeln auf die unbequeme Couch neben die Wäsche und warte darauf, dass die Frau auf den Fotos nach Hause kommt.
Callie-Dean Merriweather aus Fort Worth, Texas, kommt kurz nach drei Uhr morgens nach Hause. Sie sieht jetzt anders aus als das Mädchen, das ich zuvor leicht bekleidet getroffen habe. Erstens sieht sie mit ihrer ausgewaschenen, knallengen Jeans, übergroßem Kapuzenshirt, abgeschminktem Gesicht und Pferdeschwanz mehr aus wie eine Schülerin als eine Stripperin. So gefällt sie mir besser. Und zweitens ist sie total zugedröhnt. Ganz offensichtlich hat Callie-Dean seit unserem letzten Aufeinandertreffen etwas Koks zwischen die Finger bekommen. Ich kann die Auswirkungen daran erkennen, wie ihre viel zu wachen Augen aus den Augenhöhlen hervorquellen. Außerdem kann ich es in ihrem Organismus riechen.
Sie ist nicht allein. Irgendein großer, untersetzter Waschlappen mit Hängebacken und dunklen Augen hinter Schlupflidern tritt nach ihr ein. Er hat eine breite Nase, und sein Lächeln hat wohl gerade Urlaub. Er trägt einen Anzug, was bedeutet, dass er direkt zum Stripclub gefahren ist, welche Tagung er auch immer in der Stadt besucht. Seine Krawatte ist gelockert, und er trägt seine Anzugjacke lässig über einer Schulter. Das soll ihn wohl cool und selbstbewusst wirken lassen, doch alles, was es zur Schau stellt, ist der dunkle Schweißfleck, der sich wie schwarze Tinte in seiner Achselhöhle ausgebreitet hat. Ich kann seinen säuerlichen Alkoholatem bereits riechen, als er noch in der Türschwelle steht. Er ist ein armseliger Typ und weiß es nicht einmal.
Callie-Dean sagt dem Waschlappen, er solle es sich bequem machen, schließt die Tür und schaltet das Licht ein. Sie erstarren beide, als sie sehen, wie ich es mir auf der Couch unbequem mache.
»Ist aber auch Zeit, dass du nach Hause kommst, Süße. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
Sie schnappt nach Luft. Er runzelt die Stirn. Ich lächle.
»Was zum Teufel tust du hier?«, fragt Callie-Dean. Da ist wieder das Gesicht, das ich bereits kenne und liebe.
»Was soll ich sagen? Ich hab dich vermisst.«
»Wer ist das? Dein Zuhälter?«, fragt der Waschlappen.
»So was in der Art«, sage ich, stehe auf und gehe auf sie zu. »Ich bin ihr Bewährungshelfer. Ich bin vorbeigekommen, um mich davon zu überzeugen, dass Callie-Dean nicht wieder auf den Strich geht, aber wie es aussieht, komme ich zu spät. Darüber werde ich wohl offiziell Bericht erstatten müssen. Dein Name?«, sage ich, an ihn gerichtet.
Der Waschlappen bekommt weiche Knie und wird panisch. Denkt wahrscheinlich gerade an seine Frau und die drei Kinder zu Hause in irgendeinem Provinznest, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen. »Hey, ich bin nur auf ein Bier mitgekommen. Das ist alles.«
»Jetzt entspann dich«, sagt Callie-Dean. »Das ist kein Bewährungshelfer. Nur so ein Schwachsinn labernder Privatermittler.«
Unsicher, wem er nun glauben soll, sieht der Waschlappen mich an. Ich zucke mit den Schultern.
»Tja, wie auch
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