Blutige Nacht
den Schultern. »Ich habe sie ihr gegeben.«
»Du hast einer vierzehnjährigen Göre die Nummer deines Meth-Dealers gegeben?«
»Wer bin ich denn? Ihr Vater? Ich meine, verdammt noch mal, ich war in ihrem Alter sehr viel schlimmer dran.«
Die alleinige Erwähnung eines Schusses erinnert mich daran, dass ich schon eine ganze Zeitlang keinen mehr hatte. Allein in dem ruhigen Zimmer mit Vin, erwacht mein Hunger wie ein Neugeborenes, das an Koliken leidet. Ich ertappe mich dabei, dass ich unentwegt auf seinen pulsierenden, geröteten Hals starre. Es übt dieselbe Wirkung auf mich aus wie diese kleine alte Glocke von Pawlow.
»Was starrst du mich so an?«
Wenn Vin mich nicht dazu eingeladen hätte, zu bleiben, dann hätte er jetzt nichts zu befürchten, doch das hat er. Das hat er, und ich spüre, wie die Verwandlung nach Erlösung drängt, an welch dunklen Orten sie sich auch immer aufhalten mag. Es überkommt mich. Die bloße Intensität ist alarmierend. Ich versuche mich selbst davon zu überzeugen, dass Vin Prince ein noch so schmieriger Typ sein könnte oder vielleicht auch ist, dass es aber nicht ausreicht, sein Todesurteil zu vollstrecken. Ich habe Regeln. Ohne meine Regeln wäre ich einfach nur ein weiteres hirnloses Tier, doch sie nützen gerade nichts. Ich bin zu schwach, um dagegen anzukämpfen. Selbst die Ermahnung, was für eine schlechte Idee das wäre, weil die Blondine mich gesehen hat und weiß, dass ich hier oben bin, reicht nicht aus, mich aufzuhalten. Ich will die Verwandlung. Ich will meine Reißzähne tief in seine Kehle versenken und ihn austrinken, wie eine Spinne es mit einer Fliege macht.
Dann denke ich an Reesa. Ich denke an ihr entzückendes Gesicht und daran, was für ein Gefühl sie mir gegeben hat, und an die Ermittlung, die ich für sie durchführen soll, und irgendwie, völlig überraschend und unerwartet, gelingt es mir, am Rande des Abgrunds innezuhalten. Der Schmerz dieses Fehlschlags ist dumpf und gewaltig. Mit einer Art Knurren löse ich meinen Blick von Vins Kehle und gehe zurück bis zur Tür, bei geringerer Entfernung traue ich mir selbst nicht.
»A-alles in Ordnung, Kumpel?«
»Mir geht’s gut.«
»Sicher? Du hast einen Moment lang, weiß nicht, irgendwie verrückt ausgesehen. Nichts für ungut«, lacht Vin. Kein Haha, eher ein O Scheiße.
»Ich habe gesagt, mir geht’s gut«, sage ich und wische mir gleichzeitig ein paar Schweißperlen von der Stirn. Ich muss mich konzentrieren.
»Das Mädchen. Hat sie deinen Dealer angerufen?«
»Weiß ich nicht. Weiß ich nicht, und es interessiert mich verdammt noch mal auch nicht. Du kannst mich mal – mit ihr und ihrer Schlampe von Schwester.«
Ich hätte ihm gern gesagt, dass er so nicht über eine Lady sprechen sollte, doch ich befürchte, wenn ich meinen Mund öffne, kommen stattdessen ein Haufen scharfer Zähne und ein Mord dabei heraus. Ich gewinne etwas Zeit, indem ich mich auf meine zitternden Hände konzentriere und sie dazu zwinge, den Notizblock und einen Stift aus der Tasche zu holen.
»Dein Dealer – wie heißt er?«
Ich möchte so klingen, als hätte ich alles unter Kontrolle, doch das ist nur vorgetäuscht und noch dazu eine hundsmiserable Vorstellung. Ich muss raus hier, und zwar schnell. Der Hunger ist gewichen, aber er ist nicht weg. Ich kann spüren, dass er zusammengeduckt und mit zuckendem Schwanz sprungbereit abwartet wie ein Tiger auf der Lauer. Vin scheint dies auch zu spüren. Er sagt mir, was ich wissen will. »Leroy, Leroy Watkins.«
Ich kritzle es mit viel zu großem Druck auf meinen Block. »Und seine Nummer?«
Vin gibt sie mir.
»Du verarschst mich besser nicht, Vin. Es wird dir nicht gefallen, wenn ich zurückkommen muss.«
Zeit zu gehen.
Ich lasse Vin zurück, schrecklich blass für jemanden, der eigentlich das ganze Jahr über gebräunt ist.
Kapitel 4
Z urück im Wagen, knalle ich mir das Zeug rein, bis ich das Gefühl habe, wieder Herr meiner Sinne zu sein. Na ja, mich so gut unter Kontrolle zu haben, wie es eben geht. Ein Vampir hat immer das beunruhigende Gefühl, eine verkehrte Abfolge der Ereignisse zum falschen Zeitpunkt könnte die Dinge so völlig entgleiten lassen, wie es mir gerade bei Vin fast passiert wäre. Ich stelle mir vor, dass es sich für Haie ähnlich anfühlen muss, wenn sie Blut im Wasser schmecken, oder für einen Stier, wenn ein Matador seine Muleta tanzen lässt. Wie eine Sirene, die zum Einsatz ruft und der man nicht widerstehen kann. Ohne sich um die
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