Blutige Seilfahrt im Warndt
fallen. Und genau das war passiert. Ich konnte ihn nicht mehr retten.«
»Nun erzählen Sie doch mal, wie es Ihnen gelungen ist, all die Jahre für diese Männer als Phantom herumzugeistern?«
»Ganz einfach! Ich habe jeden einzeln ausspioniert. Dadurch haben sie meine Anwesenheit zwar bemerkt, kamen aber nie dahinter, wer ich war und was ich vorhatte. Dazu noch die Ähnlichkeit mit meinem Vater. Ich habe mir extra den Bart stehen lassen.« Wieder setzte er eine selbstgefällige Miene auf.
»Sie konnten sich ihnen also unbemerkt nähern und sie töten?«
»Genau!«
»Aber nicht bei Hollinger!« Anke schaute auf. »Er hatte einen Termin mit einem potenziellen Sponsor. Waren Sie das?«
»Ja!« Tim grinste.
»Dann muss er Sie doch erkannt haben.«
»Hat er auch.« Tims Grinsen wurde breiter.
»Aber dann müsste er doch verstanden haben, was dort unter Tage los ist. Die Bergmänner sprachen doch schon lang vom Phantom.«
»Nichts hat der Dummkopf verstanden. Ich habe mich gestylt mit Pomade im Haar und sonstigen kleinen Veränderungen, damit die Ähnlichkeit zu meinem Vater nicht allzu groß ist. Er hat mich sofort als Karls Sohn erkannt. Mehr aber auch nicht.«
»Und welche Erklärung hatten Sie für ihn, warum Sie in das Erlebnisbergwerk gehen wollten?«
»Ich habe ihm vorgemacht, tatsächlich bei der Firma Kautschuk und Karkasse zu arbeiten. Und durch meinen Vater hätte ich eine besondere Verbindung zum Bergbau, weshalb mir sehr daran gelegen wäre, diese Erinnerung zu wahren.« Tim gefiel sich in seiner Rolle, das konnte Anke ihm ansehen. Sie hatte Mühe, nicht zu kotzen. »Er war vor Begeisterung gar nicht mehr zu bremsen und hat mir freiwillig alles gezeigt. Auch die Maschinen hat er angeworfen, was er nur in Ausnahmefällen tat. Er glaubte wohl, ich sei den Einsatz wert.«
Anke zwang sich, das Gespräch weiterhin sachlich zu führen. Zu groß wurde ihre Abneigung gegen diesen Mann. Seine Selbstherrlichkeit, ja sogar Selbstbeweihräucherung für diese Gräueltaten ekelten sie an. Sie würde es niemals begreifen, wie solche Menschen tickten.
»Warum sind Sie bei all Ihren Opfern vorher eingebrochen?«, fragte sie hastig weiter, um sich von ihren Gedanken loszureißen.
»Um das Geld, das sie sich durch ihre schmutzigen Geschäfte angeeignet haben, wegzunehmen. Die Weiber hätten gut davon leben können, während junge Menschen woanders auf Drogen kommen und daran sterben.«
»Aber Ihnen stand das Geld zu?«
»Nein. Das nicht. Ich habe es an Drogenhilfezentren und Entziehungseinrichtungen gespendet. Nur damit konnte ich eine Art Wiedergutmachung leisten.«
Anke staunte. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Doch Tim hatte ihren Gesichtsausdruck schon verstanden und meinte: »Keine Sorge! Ich werde nicht sentimental. Es ist nur so, dass der Bruder meines Vaters drogensüchtig war und am goldenen Schuss krepiert ist. Mein Vater hatte sehr darunter gelitten und jede Art von Drogen verdammt.«
Anke nickte. Die Traurigkeit, die plötzlich in Tims Augen stand, gab ihr ein Gefühl dafür, dass er seinen Vater sehr geliebt hatte. Doch rechtfertigte das seine grausamen Taten? Nein! Also besann sie sich und stellte die Frage, vor der sie alle seit dem ersten Tag der Ermittlungen standen, die Frage, die auch kein Bergmann bisher hatte beantworten können: »Wie ist es Ihnen gelungen, Peter Dempler an das Stahlseil festzuhaken, damit er bis zur Seilscheibe hochgezogen werden konnte?«
Tim rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Lange dauerte es, bis er endlich zugab: »Das ist der einzige Fehler, der mir unterlaufen ist, sonst hätten Sie mich niemals gefasst.«
Anke genoss es, ihn endlich mal weniger selbstgerecht zu erleben. Doch hielt er sie ein bisschen zu lange mit der Antwort hin: »Ich warte auf eine Antwort.«
Tim lachte und meinte: »Immer knallhart was?«
»Ich warte …«
»Okay! Also wenn ich es auf diese Art versucht hätte, wäre es mir nie gelungen, Pitt so dramatisch zu töten. Im Nachhinein hat es mir Spaß gemacht. Nur war mir schnell klar, dass ich damit mehr Leute auf den Plan rufe als das Bergamt und die Grubenwehr.«
»Damit ist meine Frage immer noch nicht beantwortet.«
Nach einigem Räuspern gab er zu: »Pitt war der einzige, der sich heftig gegen mich gewehrt hat. Die anderen waren alle so überrascht, dass sie es nicht kommen sahen. Doch Pitt hat gekämpft. Und da meine Zeit knapp war – ich wusste ja, dass die Leerfahrt bald stattfinden würde – habe ich ihm
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