Blutige Vergeltung
Schließlich erwischte ich den richtigen Knopf und schaffte es, das Telefon einigermaßen in Mund nähe zu bringen.
„Hm?“ Saul, bist du’s?
Einen Moment lang herrschte Stille, doch allein am Atmen merkte ich, dass es sich nicht um meinen Lieblings-Werpuma handelte. Kalt rann es mir den Rücken hinunter, und schlagartig war ich voll da – eine Sekunde, bevor ein tiefes, heiseres Kichern in meinem Ohr erschallte und die Narbe an meinem Handgelenk feucht und heiß wurde.
„Meine liebe Kiss“, sagte er. „Es ist einfach schon viel zu lange her.“
Mir war klar gewesen, dass er mich nicht vergessen hatte.
Wäre auch zu schön gewesen, nicht, Jill? Mein Mund wurde trocken und glatt, wie Glas in der Wüste, und das Mal trommelte unter seiner Lederkappe. Die Verschlüsse an den Armbändern, die Saul für mich anfertigte, platzten regelmäßig ab oder rosteten. Und dass ich den Reif jedes Mal abriss, wenn ich den vollen Umfang der höllenverseuchten Kraft brauchte, war auch keine große Hilfe.
Ich machte mir nicht die Mühe, mich im Bett aufzusetzen. Das Rascheln würde Perry nur verraten, dass er mich kalt erwischt hatte. Stattdessen erstarrte ich auf dem Bauch liegend wie zur Salzsäule, während ich mit einer Hand unter dem Kissen das Messer umklammerte und mir mit der anderen den Hörer ans gefühllose Ohr hielt.
Ich hatte mich schon gefragt, wie lang die Leine war, an der er mich hielt – und wie lange es dauern würde, bis er daran zog. Vor sechs Monaten, nach dem Zwischenfall mit den Sorrow, hatte ich die Stadt verlassen und auf dem Weg noch kurz bei Perry vorbeigeschaut. Ich hatte gewusst, dass er bis zum Hals mit dringesteckt hatte. Er hatte doch tatsächlich angenommen, er könne auf zwei Hochzeiten tanzen und die Sorrow dazu benutzen, mich zu manipulieren.
Aber es hatte nicht geklappt. Seither hatte ich eine Menge Zeit damit zugebracht, mich zu fragen, was er wohl als Nächstes vorhatte. Die Narbe schmerzte nicht allzu sehr, und sie hatte nach wie vor funktioniert, hatte mich mit genügend Sphärenenergie versorgt, um mich um ein Vielfaches gefährlicher zu machen.
Nicht jeder Jäger verfügt über das verdammte Mal einer Höllenbrut. Und mehr als einmal hat es mir das Leben gerettet.
Und mich an den Rand des Abgrunds getrieben.
„Perry.“ Ich klang völlig normal. Zumindest so normal, wie man klingen kann, wenn man vom Anruf eines Dämons aus dem Tiefschlaf gerissen wird. Meine Hände waren feucht, und meine Brustwarzen, die sich nackt gegen die Matratze pressten, nachdem ich jeden Fetzen stinkenden Stoffs von mir geworfen hatte, waren so hart wie Kiesel. Die meisten Kissen hatte ich vom Bett geschleudert. „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst?“
Ich brauchte gar keinen Du-kannst-mich-mal-Tonfall anzustimmen. Überdrüssigkeit genügte voll und ganz – als würde man mit einem verzogenen Gör sprechen.
Sei ja vorsichtig. Sei verflucht noch mal vorsichtig, Jill. Mein Puls beschleunigte sich, als bräche die Dämmerung an. Schnell und hart wummerte mir das Herz bis zum Hals.
„Wie würde es dir gefallen, wenn mein Mal sich ausbreiten würde, Kiss?“ Gelangweilt klang er, sanft und gelassen, als unterhielte er sich übers Wetter. Ich konnte beinahe sehen, wie sich seine blauen Augen zu Schlitzen zusammenzogen.
Die meisten Verdammten sind wunderschön. Perry dagegen sieht nur durchschnittlich aus. Genau deshalb ist er auch so gruselig. Meine linke Hand fing leicht zu zittern an.
Bei so was sind Frauen immer im Vorteil, flüsterte mir die Stimme meines Lehrmeisters aus den Tiefen meines Gedächtnisses zu.
Hoffentlich hatte er damit recht. Manchmal fühlte es sich nämlich ganz und gar nicht danach an.
„Oder“, fuhr Perry fort, „vielleicht bevorzugst du es, dass es anfängt, zu verrotten und schwarz zu werden. Ich glaube, der exakte Begriff dafür wäre Nekrose.“
Ich weiß, was Nekrose bedeutet, du Ausgeburt der Hölle. „Das würde gegen unsere Abmachung verstoßen, meinst du nicht auch?“ Mit aller Kraft verkniff ich mir ein hörbares Schlucken. „Und nachdem du eh schon bei mir unten durch bist, weil du vor gar nicht langer Zeit mit den Sorrow herumtollen warst …“
„Ach, lass uns doch nicht streiten. Komm mich besuchen, Kiss.“ Seidenweich war seine Stimme, wie der Bariton eines attraktiven Geschäftsmanns – wenn man vom Grollen darin absah. Es klang wie das mitternächtliche Rattern von Güterzügen, die sich auf einem verlassenen
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