Blutinsel
entgegnete Logan. » Sie behaupteten, solange nichts weggekommen ist, liegt nur ein Hausfriedensbruch vor, und deswegen kommt kein Detective auf die Insel. Da muss schon bedeutend mehr passieren. «
Henry Phelps warf einen Dollar auf den Tresen und schaute auf die Uhr über den Spiegeln. » Es ist Zeit für mich « , sagte er.
» Was willst du tun? « , fragte Evans. » Dieser verdammte Sturm wird noch eine ganze Weile hier wüten, vor nächster Woche können wir nicht hinaus. « Wie zur Bestätigung erhellte ein Blitz die kleine Bar am Ende des Village. Der Donner grollte.
» Im Radio wird in einer Stunde eine Krimilesung gesendet « , verabschiedete sich Phelps und warf seinen Mantel über. » Das will ich nicht versäumen. Ich liebe Krimis. «
Americana Motel, Old Orchad Beach, Maine,
12 . März 2007 , 17 . 40 Uhr (Montag)
Die Vorhänge in dem kleinen Apartment des Americana Motel in Old Orchad waren zugezogen und hielten das Licht der untergehenden Sonne draußen zurück. Die bedrückende Stille wurde durch die schweren Atemzüge von Wesley Tyler unterbrochen, der mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht auf dem Bett lag und die Arme vor seinem muskulösen Bauch verschränkt hatte.
Tyler hatte bislang wenig Glück in seinem Leben. Er war kaum geboren, als sein Vater, der sich mehr schlecht als recht mit kleinen Diebereien und Einbrüchen über Wasser hielt, nach einem Einbruch in ein Juweliergeschäft von einer Polizeikugel getroffen wurde und mitten in einem Abfallcontainer zwischen matschigen Tomaten und verfaultem Obst sein Leben aushauchte. Kaum drei Jahre später, seine Mutter hatte ihm ein Dreirad zum Geburtstag geschenkt, wurde ihm eine abschüssige Straße zum Verhängnis, die ihn direkt unter die Hinterachse eines Kleinlasters führte. Mehrere Knochenbrüche, einen Milzriss und einen Schädelbruch trug er von der Begegnung mit dem harten Stahl des Lasters davon, doch zumindest hatte er überlebt. Schlimm erging es ihm, als seine Mutter einen wesentlich älteren Mann kennenlernte und nur ein paar Wochen später ehelichte, denn der neue Vater hielt nicht viel von ihm und ließ ihn seine Abneigung auch deutlich spüren. Die Schule war ein notwendiges Übel, und so trieb er sich die meiste Zeit am Hafen und in der Stadt herum, anstatt die Schulbank zu drücken. Als er acht Jahre alt war, lernte er seinen drei Jahre älteren Stiefbruder kennen, der nach dem Tod der leiblichen Mutter vom Stiefvater ins Haus geholt wurde.
Mehr als einmal lief Wesley Tyler von zu Hause weg, doch immer wieder wurde er von der Polizei nach Hause gebracht, wo ihn sein Stiefvater windelweich prügelte und seine Mutter tatenlos zusah. Nur sein neu gewonnener und anfänglich mit Verachtung gestrafter Stiefbruder hielt in dieser Zeit zu ihm. Trotz der Freundschaft, die sich zwischen den beiden entwickelte, geriet Tyler auf die schiefe Bahn. Seine erste Haftstrafe saß er mit vierzehn in einer Besserungsanstalt ab, weil er bei einem nächtlichen Besuch in einem Supermarkt mit seinen Stiefeln in einem Sicherungsgitter eines Kellerschachtes hängen blieb und erst von den heraneilenden Polizeibeamten befreit werden konnte. Doch dabei sollte es nicht bleiben.
Am 19. Oktober 1987, Tyler war neunundzwanzig Jahre alt und hatte inzwischen sieben Jahre seines Lebens in verschiedenen Haftanstalten zugebracht, überfiel er in der Nähe von Duxbury nahe Boston zusammen mit mehreren Komplizen einen Goldtransport. Zunächst lief alles nach Plan, doch dann ging der Überfall gründlich schief. Zwei Wachmänner kamen dabei ums Leben, und an den Goldbarren im Wert von dreißig Millionen Dollar hatten er und seine Helfershelfer nur kurze Zeit Freude, denn zwei Wochen später klickten nahe Brunswick die Handschellen, und der Traum von einem Leben im Luxus irgendwo in der Karibik zerplatzte wie eine Seifenblase. Die Richter gingen nicht zimperlich mit ihm um. Zwei Tote und dreißig Millionen in Gold, die spurlos verschwunden waren, brachten ihm eine hohe Haftstrafe ein. Zwanzig Jahre verbrachte er im Zuchthaus von Cedar Junction, und nun, als er kurz vor seiner Entlassung stand, passierte dieser verdammte Unfall mit dem Gefängnisbus. Jetzt war er wieder vor der Polizei auf der Flucht, denn die anderen Mitgefangenen waren durchgedreht und hatten die Wachen einfach erschossen. Er wusste, dass ihm niemand geglaubt hätte, wäre er zurückgeblieben. Ein halbes Jahr, ein gottverdammtes halbes Jahr, und er hätte seine Strafe abgesessen und Cedar Junction
Weitere Kostenlose Bücher