Blutkirsche
rieb sich schlaftrunken die Augen. „Machst du mir Frühstück? Heute ist Abschluss der Projektwoche, wir proben zwar erst um neun Uhr, aber ich will ein bisschen früher da sein. Du kommst doch heute Nachmittag um vier?“
|17| Anne wusste nur über die Projektgruppe, dass sie tatsächlich auch am Samstag stattfand – an sich schon außergewöhnlich – und dass Julian in einer Band spielte. Am Nachmittag sollte im Schulhof ihres Sohnes die Vorstellung aller Arbeitskreise sein. Die Eltern waren eingeladen. Sie hatte sich den Termin notiert. Hoffentlich kam nicht wieder etwas dazwischen.
Das Gymnasium lag nicht weit entfernt, oft nahm Julian auch das Fahrrad, was Anne zu gefährlich fand. Radwege gab es in Feuerbach nur wenige und wenn doch, dann endeten die irgendwann im Nichts. In der Zeitung stand, die Landesregierung wolle Baden-Württemberg zum Fahrradland Nummer eins machen. Aber dieses Programm würde in Stuttgart aufgrund leerer Haushaltskasse und der topografischen Lage nicht fruchten, selbst dann nicht, wenn es einen Fahrradbeauftragten des Gemeinderats gab.
Anne musste jetzt schmunzeln. Sie konnte sich denken, warum ihr Sprössling es in letzter Zeit so eilig hatte, in die Schule zu kommen. Da gab es dieses Mädchen – Julian war zum ersten Mal verliebt.
Seit Wochen verbrachte er mehr Zeit als früher im Bad. Zum ersten Mal war es ihm wichtig, welche Klamotten und Sneakers er trug. Noch vor einem Jahr hatte sie ihm alle Kleidung ohne Anprobe besorgt, nun ging das nicht mehr. Die neueste Mode der Kids waren Chucks, Schuhe aus Leinen in den verschiedensten Farben und knöchelhoch − manche Jugendlichen trugen sie sogar bei Schnee und Eis. Im Winter stieg Julian wenigstens auf die lederne gefütterte Version um, solche trug auch Will Smith in ‚I Robot‘, fiel Anne ein.
Ihr Sohn setzte sich und legte sein Handy neben sich auf den Tisch. Aha, dachte Anne, er wartet auf eine Nachricht, es hat keine Zeit bis zur Schule!
Wenn Julians Handysound ertönte, schloss er sich in sein Zimmer ein, um zu telefonieren. Einmal hatte das Festnetztelefon im Flur geklingelt und eine helle Mädchenstimme, eine Maria, hatte nach Julian verlangt. Als Anne vorsichtig fragte, wer sie denn sei, errötete ihr Sohn.
„Bring sie doch mal mit!“, hatte sie ihn aufgefordert. Es war ihr lieber, dass die beiden sich in der Wohnung aufhielten, als sich wie andere Jugendliche nachts auf dem Spielplatz beim Rathaus oder auf dem Wilhelm-Geiger-Platz zu treffen und dort herumzulungern. Sie hatte auf ihren Vorschlag, Maria mitzubringen, nur ein „Aber Ma, das sind Lans, die da rumhängen. Irgendwann bringe ich Maria mit, so viel Vertrauen musst du zu mir haben!“ gehört.
|18| Bevor es zu spät war, musste unbedingt das Thema Verhütung angesprochen werden. Anne wusste nicht, wem es peinlicher sein würde, ihr oder Julian.
„Notiert, sechzehn Uhr. Aber falls etwas dazwischenkommt ...“
„Ja, ich weiß, deine Verbrecher gehen vor“, entgegnete Julian und verzog beleidigt sein Gesicht.
„Ja, denn damit verdiene ich mein Geld!“, antwortete Anne. Sie fühlt sich zu unrecht angegriffen, wollte aber gleichzeitig einlenken und fragte: „Cornflakes und Orangensaft. Richtig? Und als Pausenbrot?“
„Ma! Kein Pausenbrot! Ich hole mir was aus der Cafeteria!“, entrüstete sich Julian, dabei futterte er die Frühstücksflocken in Windeseile.
„Schling nicht so und nimm dir wenigstens einen Apfel mit!“
Zärtlich wuschelte Anne Julians tiefschwarzes kinnlanges Haar, das, wenn die Sonne darauf schien, einen bläulichen Schimmer zeigte.
„Lass das“, brummte er.
Pubertät! Anne seufzte innerlich und verdrehte die Augen. Sie steckte eine Weißbrotscheibe in den Toaster und legte noch einmal eine Kaffeekapsel in die Espressomaschine.
„Ich werd’ nächste Woche in der Schule essen – Oma braucht also für mich nicht zu kochen. Die Spaghetti sind bei ihr immer ganz weich.“
Den von Eltern eingerichteten Mittagstisch – Mütter und Väter kochten selbst die Mahlzeiten in der Schulküche – nahm Julian in letzter Zeit gerne in Anspruch. Anne war sich sicher, den Grund zu kennen – Julian wollte länger mit Maria zusammen sein.
Sie selbst hatte dort nur einmal gekocht. Aber als Julian regelmäßig Schulkameraden zum Mittagessen mit nach Hause nahm und ihre Mutter klagte, sie könne gar nicht so viel kochen, die Jungen würden wie die Scheunendrescher essen und ihr die Haare vom Kopf futtern, hatte Anne es nicht
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