Blutleer
erlitten.
Die anderen beteiligten Polizisten kamen nach und nach zum Ort des Geschehens. Auch Kramer tauchte auf. Er besah sich Maldiens Verletzung, während der Notarzt sich um ihn kümmerte.
»Guter Schuss, Jakubian«, sagte er anerkennend. »Sollte er das überleben, wird er sicher nie mehr einen Mord begehen können. Eigentlich sollte man das mit diesen Typen immer so machen.«
Es war Barbara sympathisch, dass Jakubian keineswegs in das allgemeine Triumphgeheul einstimmte. Er saß auf dem Betonweg, auf einer Treppenstufe, die zum Kittelbach hinunterführte, war sehr still und wirkte erschöpft.
Barbara setzte sich zu ihm. »Du hattest keine andere Wahl.«
»Ich weiß. Aber alles hätte besser laufen sollen. Wir hätten Hannah Maldien nicht gefährden müssen.«
»Doch, das mussten wir. Ohne sie hätten wir ihn nicht gekriegt.« Aber sie wusste, es war nicht allein der Schuss, der ihm jetzt zu schaffen machte. Sie spürte es genauso wie er: diese Leere, wenn ein Fall seinen Abschluss gefunden hatte. Wochenlang hatten sie mit keinem anderen Ziel gelebt, als diesen Mann zur Strecke zu bringen. Und jetzt wussten sie nichts mit sich anzufangen.
Es war ein vertrautes Gefühl, wie ein Kater, doch Barbara hatte es lange nicht mehr gespürt. Denn wenn sie sonst nach dem Abschluss eines Falles nach Hause zurückkehrte, dann wartete Thomas dort auf sie und machte ihr klar, dass es noch etwas anderes im Leben gab als diese Jagd. Aber heute Nacht wollte sie nicht in die Villa zurückkehren, auch wenn es ihr immer noch ernst war mit dem Neuanfang. Sie fühlte sich Jakubian so nah wie nie zuvor. Heute Nacht brauchten sie einander.
Sie mussten nicht darüber reden. Ein Teil der Soko-Leute würde ins Duisburger Präsidium fahren, Max Erhards Team würde im Scheinwerferlicht Spuren sichern. Aber Jakubian und Barbara meldeten sich ab.
»Ich kann dich nach Rheinhausen fahren«, sagte er, als sie im Auto saßen. »Oder möchtest Du vielleicht lieber …« Er machte eine ausladende Handbewegung in Richtung der Villa, die hell über dem Parkplatz strahlte.
»Fahr los«, sagte sie nur, und er tat es.
In seiner hässlichen Wohnung voller Sperrmüllmöbel begannen sie einander auszuziehen. Die Erschöpfung war fort, aber beide wussten, das war nur eine Atempause.
»Das ist ein Fehler, Barbara, das ist dir doch klar?«
»Ja. Aber ich will es. Wenigstens dieses eine Mal.«
Er hielt inne, ihre Hose aufzuknöpfen. »Gerade das eine Mal könnte uns beiden sehr weh tun.«
Sie legte ihre Hände auf seine. »Wir können damit aufhören, Ruben. Ich verstehe, wenn du es nicht willst. Weil wir Kollegen sind. Und weil du noch an deiner Petra hängst und ich an Thomas.«
Er nahm ihre Hände, küsste sie, öffnete dann den Knopf und zog den Reißverschluss herunter. Sie tat es ihm nach.
Plötzlich lachte er leise.
»Was ist so lustig?«
»Ich habe bisher …« Er lachte lauter. »Ich habe noch nie mit einer so kleinen Frau geschlafen. Petra und auch die paar Frauen vor ihr waren groß, üppig und kurvig. Ich dachte immer, eine kleine Frau könnte ich zerbrechen.«
»Ich habe nicht vor, unten zu liegen, Jakubian.«
Jetzt war der letzte Fetzen Stoff herunter. Er packte sie und ließ sich gemeinsam mit ihr auf das viel zu kleine Bett fallen.
Sie blieb die ganze Zeit oben, selbst als sie einschliefen.
In den Morgennachrichten hatte es schon die ersten Meldungen über den gefassten Serienmörder gegeben. Jakubian hatte Barbara zu Heinz gefahren, damit sie die Kleider wechseln konnte. Nun bogen sie auf den Parkplatz des Duisburger Polizeipräsidiums ein. Draußen wurde gerade eine Meute Presseleute auf die Pressekonferenz um dreizehn Uhr vertröstet.
Dann sah Barbara den schwarzen CLK. Thomas. Als sie und Jakubian das Präsidium betraten, kam er ihnen entgegen. Er hatte einen Umschlag dabei. »Barbara, kann ich dich kurz sprechen?«
»Wir sehen uns gleich«, sagte Jakubian und ging.
Barbara hatte seinen Blick registriert. Und sie registrierte ihr eigenes schlechtes Gewissen. »Komm, wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen.«
Thomas folgte ihr. Sie fanden einen freien Verhörraum und setzten sich an den Tisch. In dem kahlen Raum saßen sie einander gegenüber wie Polizist und Delinquent. Barbara fragte sich, wer welche Rolle innehatte.
»Du sprachst gestern von einem Neuanfang, Barbara«, begann Thomas.
»Ja. Und das war mir ernst. Ich möchte es zumindest versuchen.« Sie konnte aus seinem Gesicht keine Reaktion lesen. »Ich …
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