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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sich dumm vorzukommen. Der
Hubschrauber war ein paar Wochen später gelandet und hatte sie
an Bord des riesigen, vor der Küste liegenden
Flugzeugträgers gebracht.
    Dann hatte man sie über den Ozean nach England befördert
und eine Wohnung für sie in London gefunden; eine hübsche
kleine Wohnung, wo sie sich die meiste Zeit wohl fühlte. Und
Laurie kam und brachte die Dinge, die Suzy brauchte.
    Aber heute war sie nicht gekommen, und nach Dunkelwerden kam sie
nie. Der Schnee war sehr dick und leuchtete hell. Hübsch.
    Seltsamerweise fühlte Suzy sich überhaupt nicht
einsam.
    Sie schloß das Fenster und ließ die kalte Luft
draußen. Dann stand sie vor dem langen Spiegel in der Tür
des Kleiderschranks und sah die leuchtenden Schneeflocken in ihrem
Haar schmelzen und verglimmen. Sie mußte darüber
lächeln.
    Das Innere des Kleiderschranks war dunkel und ziemlich leer. Die
Rohre der Dampfheizung ratterten, genau wie zu Hause.
»Hallo«, sagte sie zu den wenigen Kleidern im Schrank. Sie
zog ein langes Kleid heraus, das sie vor sechs Monaten zu einem von
der Botschaft veranstalteten Ball getragen hatte. Es war von einem
herrlichen Smaragdgrün, und sie sah sehr gut darin aus.
    Seit jenem Anlaß hatte sie es nicht getragen, und das war
eine Schande.
    Sie stand bei der Heizung und zog sich das Kleid aus, stieg in das
lange grüne Abendkleid. Wollte man die Königin sehen, wurde
man nur in einem Abendkleid vorgelassen, nicht wahr? Das leuchtete
ein.
    Sie zog es über die Schultern und wand sich hin und her, bis
es richtig saß. Dann zog sie den Reißverschluß
hoch, so weit sie konnte, und trat wieder vor den Spiegel, drehte
sich von einer Seite zur anderen und lächelte sich zu.
    In den ersten paar Monaten war sie bei den Leuten der Botschaft
sehr beliebt gewesen. Alle mochten sie. Später hatten sie jedoch
aufgehört, sie einzuladen, weil die Botschaft ein gutes
Stück entfernt war, und der Verkehr immer unzuverlässiger
und komplizierter zu bewältigen war.
    Tatsächlich, dachte Suzy, als sie das hübsche
Mädchen im Spiegel betrachtete, würde es ihr es nichts
ausmachen, jetzt gleich zu sterben.
    Es war so schön draußen. Selbst die Kälte war
schön. Die Kälte fühlte sich anders an als früher
in New York, und nicht etwa, weil es englische Kälte war.
Kälte, so dachte sie bei sich, fühlte sich überall
verschieden an.
    Wenn sie stürbe, könnte sie in den leuchtenden Schnee
eingehen, höher hinauf in die dunklen Wolken, dunkel wie der
Schlaf. Sie könnte Mutter und Cary und Kenneth und Howard suchen
gehen. Wahrscheinlich waren sie nicht in den Wolken, aber Suzy
wußte, daß sie nicht tot waren…
    Sie runzelte die Stirn. Wenn sie nicht tot waren, wie könnte
sie sie dann durch das Mittel des Sterbens finden? Sie war so dumm!
Sie verabscheute es, dumm zu sein. Sie hatte es immer schon
verabscheut.
    Und doch – Mutter hatte ihr immer gesagt, daß sie ein
wundervolles Mädchen sei und alles so gut tue, wie sie es
könne (obwohl es immer Besseres gab, wonach zu streben sich
lohnte). So war Suzy mit einer gewissen Selbstzufriedenheit
aufgewachsen, hatte sich selbst gemocht, hatte andere gemocht, und
nie hatte sie wirklich jemand anders sein wollen, oder etwas anders,
was das anging.
    Sie wollte sich nicht verändern, bloß um besser zu
sein. Obwohl man stets das Bessere anstreben sollte.
    Es war sehr verwirrend. Alles veränderte sich. Sterben
bedeutete Veränderung. Wenn ihr das nichts ausmachte,
dann…
    Der Schnee draußen machte ein Geräusch. Sie lauschte am
Fenster und hörte ein angenehmes Summen, wie von Bienen in einem
blühenden Strauch. Ein warmes Geräusch für eine kalte
Nacht.
    »Wie seltsam«, sagte sie. »Ja, wie seltsam, wie
seltsam.« Sie sang die Worte, aber das Lied war albern und sagte
nichts über ihre Empfindungen aus, die ein Sichabfinden waren,
ein…
    Annehmen.
    Vielleicht war es nicht der Schnee, der das Geräusch machte.
Sie wischte den Kondensbelag von der Fensterscheibe und ging
zurück zum Bett, das Licht auszuschalten, um besser zu sehen.
Wenn der Schnee in die eine oder die andere Richtung geblasen wurde,
dann war es der Wind, der das Geräusch verursachte. Es
hörte sich aber nicht wie Wind an.
    Hinnahme und Einsamkeit.
    Wo war Laurie? Wo alle waren. Zu Hause, am Fenster, in den Schnee
hinausblickend, wie sie es tat. Aber Laurie hatte wahrscheinlich Yves
bei sich. Es war nicht gut, einsam zu sein, am…
    sie schluchzte unerwartet und schluckte es hinunter.
    ja, das war es, sie

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