Blutspuk in Venedig
vorwinterlichen Venedig. Der Himmel war eine Masse aus grauem Blei und ließ den Mann an die berüchtigten Bleikammern von Venedig denken, in die vor Jahrhunderten die Gefangenen hineingepfercht worden waren.
Die Geschichte dieser Stadt konnte als äußerst wechselvoll bezeichnet werden. Es hatte gute und auch schlechte Zeiten gegeben, aber das interessierte ihn im Moment nicht, denn die Erzählungen des Mannes wollten ihm nicht aus dem Kopf. Man hätte darüber lächeln können. Daß Arnos es trotzdem nicht tat, lag allein daran, daß er an die schriftliche Warnung dachte, die sein Chef Rock Paretti erhalten hatte. Und die wollte keiner von ihnen auf die leichte Schulter nehmen. Schon jetzt ärgerte er sich darüber, daß er überhaupt nach Venedig gefahren war, aber er dachte an seine Bezahlung.
Sie war äußerst großzügig. Dafür nahm man schon so manchen Ärger in Kauf.
Das Haus sah wirklich nicht besonders einladend aus. In den hohen Fenstern spiegelten sich die Wolken. Hineinschauen konnte man deshalb nicht.
Über vielen Dächern breitete sich der Qualm wie zitternder Nebel aus. Er drang aus den zahlreichen Kaminen hervor, und der Geruch verteilte sich ebenfalls.
Es roch nach Verfall, nach schmutzigem und brackigem Wasser, nach der Vergänglichkeit.
Aber die Stadt hatte stets dem Untergang getrotzt. Sie würde es auch weiterhin tun.
Die Eingangstür war sehr breit, auch relativ hoch, und auch an ihr hatte der Zahn der Zeit genagt. Grünspan bedeckte die Messingbeschläge.
Sid Arnos würde hineingehen müssen. Er konnte sich nicht weigern. Er sollte Fotos machen. Sein Chef würde sie sehen wollen, und Sid Arnos hatte eine Gänsehaut bekommen.
Er saugte die Luft durch die Nase ein. Das Panorama der Stadt lag in seinem Rücken. Vor ihm stand das Haus. Ein normaler Palazzo.
Trotzdem hatte der Mann den Eindruck, als würde er an der Schwelle zu einem gewaltigen Grab stehen.
Zu seinem Grab…
***
Sid Arnos stand da, ohne sich zu bewegen. Er lauschte den Geräuschen der schweren Tür, die hinter ihm zufiel. Sie knarrte und schabte, sie jammerte, quietschte, als wäre sie ein alter Sargdeckel, den jemand nur mit großer Mühe bewegte. Und dann schlug sie mit einem dumpfen Geräusch ins Schloß.
Wie der Eingang zu dem großen, kalten Grab, in dem der Tod seine Spuren hinterlassen hatte.
Sid Arnos war ein wenig atemlos geworden. Er stand einfach da und staunte. Obwohl er seine unmittelbare Umgebung als schummerig ansehen mußte, waren die Fresken und Malereien doch gut zu erkennen. Die Farben kamen ihm vor, als würden sie leuchten, und der mit Marmor belegte Boden schimmerte an einigen Stellen wie ein Spiegel. Alles war sehr sauber und glatt, die Handwerker, die hier gearbeitet hatten, gehörten zu den Künstlern ihrer Branche. Sie hatten es verstanden, das Innere des Palazzo wie neu aussehen zu lassen, als wäre er soeben erst gebaut worden.
Sid Arnos schloß für einen Moment die Augen. Er gehörte zu den phantasiebegabten Menschen und konnte sich gut vorstellen, wie sich seine Umgebung in einen prächtigen Ballsaal verwandelte, gefüllt und besucht von festlich gekleideten Menschen, die nach den Klängen der Musik tanzten und ihre Reigen abschritten.
Nur blieb das Bild nicht lange. Ein anderes schob sich darüber hinweg.
Es war dunkler, grauer und gefährlicher. Auch düster und zugleich unheimlich.
Die Wahrheit…
Er sah sie, als er die Augen öffnete und mit einer langsamen Bewegung den kleinen Fotoapparat aus der Tasche holte. Sein Chef hatte es so gewünscht. Er wollte sich ein Bild von den leeren Räumen machen. Er würde die Aufnahmen vergrößern und selbst die Einrichtung hineinzeichnen. Dieser Palazzo würde wieder, wenn es nach Rock Paretti ging, seine alte Pracht erhalten, jedoch vermischt mit den Errungenschaften der modernen Unterhaltungselektronik. So würde es ein Studio geben, das direkt neben einem Raum stand, in dem die Zeit stehengeblieben war, zumindest was die spätere Einrichtung anging.
Denn bei ihr sollte mit kostbaren Möbeln nicht gespart werden.
Sid Arnos fotografierte. Er konzentrierte sich dabei so sehr auf seine Arbeit, daß das ungute Gefühl, das ihn bei seinem Eintreten überfallen hatte, zurückgedrängt wurde. Es gab ja nicht nur die eine große Halle.
Eine Treppe führte hoch in die nächsten beiden Etagen, wo die anderen Räume durch breite Gänge miteinander verbunden waren. Allerdings war die Halle hinter der Tür der größte Raum, und ihre Decke mußte
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