Blutsterne - Teile 1 + 2
wenig Geduld!“ Ich meinte den Tod damit, wusste aus Erfahrung jedoch, dass diese Worte Hoffnungen weckten.
Zufrieden schloss ich die Tür hinter mir, ging in die Küche und wusch das geleerte Glas gründlich aus. In die Spülmaschine wollte ich es nicht stellen. Das Geschirr dort war sauber. Hier sah es wie immer sehr ordentlich aus. Ich liebte in diesem Bereich Ordnung und perfekte Sauberkeit.
Meine Hände und Füße erwärmten sich durch das frische Blut langsam. Der Blick in den Spiegel zeigte mir jedoch immer noch ein bleiches Gesicht. Es dauerte etwas, bis die Wirkung sich auch dort zeigte.
Ich spürte endlich wieder das Holz der Dielen unter meinen nackten, besser durchbluteten Sohlen. Waren diese kalt, so schwand die Empfindung. Ihre gehobelte Ursprünglichkeit erinnerte mich an die alten, angenehmen Zeiten. Bei der Anmietung der Wohnung hatte ich darauf bestanden, den Boden auszuwechseln. Der Vermieter versuchte mir zwar einzureden, dass das Holzimitat viel besser und robuster wäre, doch ich bestand darauf.
Das war wie mit einer lebendigen Frau. Wer will schon eine künstliche Puppe als Ersatz?
Natürlich musste ich die Änderung selbst bezahlen. In allen Räumen wurden durchgehende Eichendielen verlegt. Dem Vermieter gefiel es am Ende auch. Er versprach mir den Boden fair abzukaufen, falls ich einmal auszog.
Dieses lebendige Gefühl war mir diese Investition wert. Das gemaserte Holz unter den bloßen Füßen genießend, schlenderte ich in das Wohnzimmer. Genauso war es in Zarskoje Selo gewesen, als wir Kinder vor dem Schlafengehen noch barfuß hin und her huschten. Unsere Kindermädchen ärgerte das, aber wir mochten dieses Spiel. Wir hatten keine richtigen Gouvernanten, weil Mama und Papa Wert darauf legten, dass sie uns selbst erzogen und wir wie eine normale Familie lebten. Das war ungewöhnlich in Königshäusern der damaligen Zeit. Vielleicht war es falsch gewesen, denn daraus resultierte nun ein Teil des Schmerzes, den ich empfand. Da wir alle durch unsere Liebe verbunden waren, wog der Verlust meiner Familie jetzt umso schwerer.
Manchmal drohten wir den aufgeregten Bediensteten damit, sie zu entlassen, wenn sie uns nicht gehorchten. Sie taten dann zwar mutig, doch wir spürten ihre Furcht. Gut bezahlte Arbeit war schon immer schwer zu finden gewesen. Wer wollte sie verlieren?
Die Welt war zu dieser Zeit noch zauberhaft für uns Kinder. Nichts deutete darauf hin, dass nur wenige Jahre später alles anders sein würde.
Auf dem Tisch stand mein geöffneter Laptop. Eigentlich mochte ich diese modischen Geräte nicht, doch die Zeit forderte ihren Tribut. Für die Jagd, das Finden und sogar für das Verstecken von Informationen war die Technik sehr praktisch.
Im Internet konnte man die vielen Lügen und Fantastereien über meine Familie und unseren Tod lesen.
Viele Jahrzehnte war mir das wirklich egal gewesen, da mich die Jagd ausfüllte. Aber jetzt reichte mir das nicht mehr. Wurde ich älter? War das eine Form von Nostalgie?
Ließ ich meine Gefühle zu, verspürte ich Lust, die wahre Geschichte aufzuschreiben. Regelte ich sie herunter, verließ mich diese und wich dem Drang, zum Panikraum zu gehen und die böse Arbeit fortzuführen. Das funktionierte wie bei einem Dimmer. Die vielen Jahre hatten mich gelehrt, mit diesem umzugehen.
Ich gestattete mir wieder ein wenig mehr Gefühle und genoss dieses masochistische Spiel des Wahrnehmens von Trauer und Schmerz. Dann drehte ich an dieser inneren Schraube und genoss die Empfindungen der anderen Seite; den kühlen Frieden, verbunden mit herzloser Bosheit. Jedes Mal staunte ich erneut, wie rasant sich dabei auch die Denkprozesse änderten.
War somit nicht alles Denken und Handeln nur illusionär? Wie können Illusionen eine Schuld tragen und war die Wahrnehmung einer Schuld nichts als eine weitere Illusion? Wie konnte ein Mörder schuldig sein, wenn alle Handlungen auf Ursachen beruhten? Stand somit nicht bereits vor der Tat alles fest? Das frische Blut berauschte. Meine Gedanken schwirrten. Schluss damit.
Durch einen Klick erschien der gesuchte Artikel im Bildschirm. Ich hatte ihn schon oft gelesen. Er beschrieb, dass meine Familie nach Jahrzehnten der Verunglimpfung heilig gesprochen worden war. Eine DNA-Analyse bewies den Tod meiner Schwester Maria und des Zarewitsch. Viele Jahrzehnte hielten sich Gerüchte, dass die Bolschewiken sie angeblich verschont hätten. Die Überreste der beiden waren nun abseits von den anderen Familienmitgliedern
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